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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel
Autoren: Jan Stressenreuter
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sprichwörtliche Gespenst im Nachthemd durch das Haus geistert. Als Kinder mussten meine Schwester und ich jegliche Stolperfallen aus dem Weg räumen, wenn es wieder so weit war, und mein Vater schraubte und nagelte alles fest, was sich nur irgendwie befestigen ließ, um das Verletzungsrisiko für meine Mutter und die Beschädigungen des Mobiliars so gering wie möglich zu halten. Selbst der Esstisch war im Holzboden verschraubt. Einmal allerdings vergaß mein Vater, die Luke, die von meinem Kinderzimmer zum Dachboden führte, zu verschließen, und wir fuhren nachts um drei aus unseren Betten, geweckt von den aufgebrachten Schreien meiner Mutter, die soeben mit nackten Füßen in eine ausgelegte Mausefalle getreten war.
    Aber heute Nacht ist es nicht nur der Vollmond, der mich vom Schlafen abhält. Irritiert schaue ich mich in meinem Zimmer um, suche die Schatten ab nach dem eigentlichen Grund für meine Schlaflosigkeit. Doch alles ist an seinem Platz: der Schreibtisch, der überquillt mit unerledigten Rechnungen und Merkzetteln. Der Stuhl, auf dessen Lehne ich meine schmutzigen Klamotten so lange stapele, bis er das Gewicht nicht mehr halten kann und nach hinten kippt; das Bücherregal, das meine fast komplette Perry-Rhodan -Sammlung beherbergt und einen Roman von Tolstoi, den ich nie gelesen habe und an dessen Herkunft ich mich beim besten Willen nicht erinnern kann; der halb vertrocknete Farn auf dem Fensterbrett, den ich am Straßenrand gefunden habe, und sogar die Pornohefte, die ich immer unter dem Bett platziere, damit ich sie mit einer Handbewegung erreichen kann, falls ich sie benötige, bevor ich abends das Licht ausknipse. Auch die Gerüche, die ich gewohnt bin, sind dieselben wie immer: Da ist der Gestank des überquellenden Aschenbechers auf meinem Nachttisch; der leicht modrige Duft der angegammelten Mandarine neben dem PC, die ich schon seit Tagen entsorgen will; der Mief meiner dreckigen Socken, die ich nicht waschen kann, weil meine drei WG-Mitbewohner seit Wochen die Waschmaschine blockieren.
    Nein, es sind die Geräusche in meinem Zimmer, die mich wach halten. Normalerweise gibt es nur das leise Ticken meiner Charlie-Brown-Wanduhr, die ich zu meinem zehnten Geburtstag geschenkt bekommen habe und die entgegen jeglicher Wahrscheinlichkeitstheorie auch nach über zwanzig Jahren ihren Dienst auf die Minute pünktlich versieht, und da ist natürlich das leise Quietschen des Laufrads, das Fridolin XIV., meinen Hamster, bei seinen nächtlichen Joggingübungen im Käfig begleitet. Nur nebenbei bemerkt: „Der Vierzehnte“ deshalb, weil ich einen Hamster besessen habe, seit ich denken kann. Da diese putzigen, kleinen Nagetiere allerdings höchstens drei Jahre alt werden und mein Einfallsreichtum beim Aussuchen origineller Namen begrenzt ist, habe ich mir angewöhnt, jeden neuen Spross meiner Hamsterdynastie einfach mit dem Namen seines Vorgängers zu versehen und eine fortlaufende Ordnungszahl an den Namen zu hängen. Im Übrigen sollte man aus der Anzahl der Hamster und ihrer maximalen Lebenserwartung keine Rückschlüsse auf mein Alter ziehen. Tatsächlich bin ich erst Mitte dreißig und nicht zweiundvierzig. Das hat damit zu tun, dass – um es taktvoll auszudrücken – einige der früheren Fridoline in der Blüte ihrer Jahre aus dem Leben gerissen wurden und die Segnungen des Alters nicht mehr erleben konnten. Fridolin V. zum Beispiel ist in eine Dachrinne gefallen und in der darunter stehenden Tonne mit Regenwasser ertrunken. Fridolin VIII., der gefräßigste Nager, den ich jemals hatte, ist bezeichnenderweise an einem Stück Mohrrübe erstickt, und Fridolin XIII., der direkte Vorgänger des jetzigen Käfiginhabers, ist erst vor drei Wochen tragischerweise von einem Pfund Kaffee erschlagen worden, das Anja, eine meiner Mitbewohner, beim Nachfüllen der Kaffeedose aus der Hand gefallen war.
    Aber es sind nicht diese gewohnten Geräusche, die mir den Schlaf rauben. Das Ticken und Quietschen höre ich längst nicht mehr. Seit heute ist jedoch etwas hinzugekommen, mit dem ich nicht gerechnet habe. Ein Schnarchen. Es kommt aus dem Zimmer nebenan, dessen Tür ich vorhin nur leicht angelehnt habe und das wir – Anja, Patrick, Lars und ich – nur als Abstellraum benutzen. Eigentlich sollten wir das Zimmer neu vermieten, da die Wohnung relativ teuer ist und wir uns einen leer stehenden Raum im Grunde gar nicht leisten können. Doch nach Rebeccas Auszug waren wir alle so froh, dass jetzt niemand mehr nach
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