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Und bitte für uns Sünder

Und bitte für uns Sünder

Titel: Und bitte für uns Sünder
Autoren: Susanne Hanika
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dies meiner Großmutter zu erzählen.
    Seufzend hob ich den Deckel der Kiste an.
    Und ließ ihn erschrocken wieder zufallen. Der Schlag, der im
Orgelaufgang hallte, ließ Großmutter und mich zusammenzucken.
    Heilige Maria Mutter Gottes. Was war das?
    Â»Geh, Mädl, mach ned alles hin«, sagte Großmutter hinter mir. »Was
is denn des?«
    Ja. Hm.
    Â»Nix«, sagte ich und stemmte mich gegen die Kiste, um sie wieder ins
ewige Dunkel hinter der Erntedankkrone zu befördern.
    Â»Geh. Was heißt nix? Was stelln S’ denn solche Kisten rein? So ein
greißliches Durcheinander, so ein greißliches.«
    Â»Wer hebt denn Kerzenstummel auf?«, fragte ich stattdessen, als
hätte ich noch mehr von der Sorte gefunden.
    Â»Irgendwann kannst alles brauchen«, sagte Großmutter.
    Â»Kerzenstummel?«, fragte ich erstaunt, während ich durch
unauffälliges Drücken mit der Ferse versuchte, die Kiste unsichtbar werden zu
lassen oder wenigstens hinter die Erntedankkrone zu bugsieren.
    Â»Ja mei«, sagte Großmutter unwillig. »Die kannst einschmelzen.«
    Und dann im Block wegwerfen.
    Â»Und, was ist jetzt da drin?«, beharrte Großmutter, die einen
siebten Sinn für Heimlichkeiten hatte.
    Mein Herz wummerte in meinen Ohren. Ich hörte mich mit
Großmutter reden, als wäre ich nicht ich selbst. Alles untrügliche Zeichen
dafür, dass ich nahe daran war, hysterisch zu werden.
    Ich hatte es schon wieder getan. Ich hatte schon wieder etwas
gefunden, das ich nicht finden wollte.
    Das passte mir gar nicht in den Kram. Denn momentan lief es wirklich
gut. Großmutter nahm regelmäßig ihre Medikamente, machte ganz normale Dinge,
wie kochen und einkaufen. Oder Kirche putzen.
    Wenn sie sah, was in dieser Kiste lagerte, würde sie sich bestimmt
weigern, weiter ihre Medikamente zu nehmen. Man wusste nie, ob das nicht der
Anfang vom Ende war. Andere alte Leute brachen sich irgendwann den
Oberschenkelhalsknochen, und dann war es um sie geschehen.
    Und bei Großmutter konnte das auch passieren, wenn sie ihre
Medikamente nicht mehr nahm.
    Â»Die Sakristei«, schlug ich vor, um sie abzulenken. »Die hat’s
dringend nötig. Wenn der Daschner auf dem dreckigen Boden ausrutscht und sich
das Bein bricht, dann kriegen wir so schnell keinen Ersatzpfarrer. Du weißt
doch, wie das ist heutzutage, bei diesem Pfarrermangel.«
    Großmutter warf mir einen bösen Blick zu, als hätte ich vor, sie ins
Pflegeheim zu stecken. »Geh, Mädl, red kein Zeug. Was ist denn in der Kiste?
Ich find, die sollte da gar nicht stehen.«
    Ja. Das fand ich natürlich auch.
    Ich hatte es mir geschworen. Nichts mehr zu finden. Und dieses Mal
würde ich es nicht finden. Ich würde es zumindest vergessen. Verdrängen und
nicht daran denken. Nein, nicht vernichten. Aber nicht mehr dran denken. Dann
konnte es der Nächste finden, der hinter der Erntedankkrone wischen wollte.
Wobei die Kathl zu alt war, um die Erntedankkrone vorzuziehen. Und die Resl
bestimmt keine Lust hatte. Und die Bet … Aber schweigen wir über die Bet.
    Â»Ich stell’s dem Daschner in die Sakristei«, schlug ich als
Kompromiss vor. »Schließlich ist das eine kirchliche Kiste, da kann man nicht
einfach reinschauen und neugierig sein.«
    Großmutter sah mich an, als wäre ich komplett verrückt geworden.
    Â»Wir sind die Gemeinde«, erklärte sie bestimmt. »Und ich habe das
Recht zu wissen, was bei uns hinter der Erntedankkrone versteckt wird.«
    Oje, jetzt waren wir schon so weit, dass sie dachte, dass die Kiste
hier versteckt worden war.
    Â»Mädl, mach die Kiste auf«, sagte sie sehr streng.
    Ich spürte, wie mein guter Wille ins Wanken geriet. Wenn Großmutter
streng wurde, dann geriet bei mir immer alles ins Wanken. Dann wurde ich wieder
zum kleinen Kind, das zwanghaft gehorcht.
    Sie zog an der Kiste. »Und jetzt lass mich endlich sehn, was da drin
ist. Wenn’s ned herg’hört, dann geb’n wir’s dem Pfarrer.«
    Wir starrten uns eine Weile mit feurigen Augen an. Ich wusste, dass
ich die Unterlegene war, obwohl ich sechzig Jahre jünger war als meine
Großmutter. Und ich wusste, dass ich gewinnen musste. Ich zerrte die Kiste in
meine Richtung.
    Â»Lass aus, denk an deine Bandscheiben«, sagte ich noch.
    Aber Großmutter war von einem heiligen Willen erfüllt, diese Kiste
zu »verräumen«. Sie zerrte an der
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