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Und bitte für uns Sünder

Und bitte für uns Sünder

Titel: Und bitte für uns Sünder
Autoren: Susanne Hanika
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die Haustür aufging. Ich
hörte ein charakteristisches Klappern, das bedeutete, dass heute nicht der Tag
war, den ich faul in der Sonne verbringen würde. Denn ich kannte die sechs
Wörter auswendig, die ich gleich zu hören bekommen würde.
    Â»Heute liegt Putzen in der Luft«, sagte meine Großmutter und
schepperte hinter mir zufrieden mit unserem weißen Emailleeimer. Wie Putzen in
der Luft liegen kann, frage ich mich schon lange nicht mehr. Ich schalte jeden
Gedanken an eine bessere Beschäftigung ab und tue, was von mir verlangt wird.
Fenster putzen. Matratzen entstauben. Schränke auswischen. Die einzige Tätigkeit,
die mir nie zugemutet wird, ist, unsere Edelstahlspüle auszuwischen. Das ist
die Aufgabe von Großmutter. Sie macht das ungefähr tausendmal am Tag oder noch
öfter, und wenn sie auch sonst alles vergisst, ihre Medikamente nicht nimmt,
das mit dem Edelstahlspülewienern vergisst sie nie.
    Wenn an einem so schönen Tag wie heute Putzen in der Luft lag und
Großmutter mit einem Eimer außer Haus ging, war es, konkret gesprochen,
Kirchputz, der in der Luft lag. Großmutter war sechsundachtzig Jahre alt. Sie
würde bald siebenundachtzig werden. Aber das war kein Grund, sich sagen zu
lassen, dass sie den Kirchputz versäumt hätte. Also setzte ich mich wohl oder
übel auch mit in Bewegung.
    Später würde ich mich ärgern, statt des Kircheputzens nicht doch die
Erdschollen wieder umgedreht zu haben.
    Vor der Kirche trafen wir die Ernsdorferin. Das ist die Frau vom
Ernsdorfer Klaus, der das Sägewerk draußen am Wald hat. Und sein Vater, das ist
auch der Ernsdorfer Klaus. Bei uns sagt keiner Senior zu ihm, sondern das heißt
dann, der Ernsdorfer, der alte Bürgermeister, du weißt schon, der mit dem
Parkinson. Dabei vergaßen die Leute aber immer, dass er nicht nur Parkinson
hatte, sondern sich auch an nichts mehr erinnern konnte. Aber wie hätte sich
das angehört. Der Ernsdorfer, du weißt schon, der mit dem Parkinson, der sich
an nix mehr erinnern kann.
    Beide Ernsdorfers sind verheiratet, und die jüngere Ernsdorferin hat
einen ganz schlimmen Putzfimmel, den sie allerdings nie in der Kirche auslebt.
    Großmutter erzählte wahrscheinlich deshalb ziemlich ausführlich,
dass sie jetzt gleich »klar Schiff« in der Kirche machen würde. Die
Ernsdorferin wurde etwas grünlich im Gesicht. Das werden sie allerdings alle,
wenn Großmutter vom Kirchputz erzählt. Weil Großmutter ihnen dann wahlweise
unterstellt, dass sie gar nicht putzten (wie die Ernsdorferin) oder schlecht
putzten (wie die Bet seinerzeit). Die Ernsdorferin zahlte es uns aber mit
gleicher Münze heim, indem sie vom Ernsdorfer, dem alten Bürgermeister, du
weißt schon, dem mit dem Parkinson, erzählte. Den mussten sie nämlich zu Hause
pflegen, weil so ein Pflegeheim viel zu viel kostet. Großmutter schoss mir hin
und wieder einen bösen Blick zu, als könnte ich mich auch mit dem Gedanken
tragen, sie in ein Pflegeheim zu geben.
    Â»Des können wir uns nicht leisten«, sagte sie hin und wieder äußerst
zufrieden.
    Â»Die Rente haben s’ ihm erhöht«, sagte die Ernsdorferin düster. »Um
ein Euro vierundzwanzig Zent.« Sie sprach die Cent mit Zett aus und rollte
dabei die Augen. »Stell dir das mal vor. Ein Euro vierundzwanzig Zent. Der
Klaus hat glei ang’rufen.«
    Hm. Da hatte wahrscheinlich der Anruf eine ganze
Monatsrentenerhöhung gekostet.
    Â»Er hat ihnen g’sagt, des könnts euch hint reinschieben. Den Euro.
Und die Zents könnts nachdrucken«, sagte sie ziemlich zufrieden über ihre
Wortwahl.
    Â»Dann behalts ihn doch daheim«, schlug Großmutter sehr zartfühlend
vor und ließ den Putzeimer scheppern.
    Die Ernsdorferin rollte schon wieder mit den Augen. »Freilich. Oder
meinst, wir haben den Geldscheißer daheim? Aber ein Spaß is des nicht. Er hat
alles vergessen. Wenn ich komm und was mach, dann meint er, ich bin der
Hausmeister. Wenn’s dumm geht, dann meint er, ich brech ein, und geht mit dem
Kochlöffel auf mich los.«
    Ich verkniff mir ein Grinsen. Großmutter sah jedoch so bitterböse
drein, dass mir das Lachen verging. Und auch die Ernsdorferin sah nicht aus,
als würde sie es lustig finden.
    Â»Ein Euro vierundzwanzig Zent«, sagte sie noch einmal. »Pfleg du mal
einen Mann, der dich ned mehr kennt. Der spuckt uns ja schon aufs
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