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Uncharted - Das vierte Labyrinth

Uncharted - Das vierte Labyrinth

Titel: Uncharted - Das vierte Labyrinth
Autoren: Christopher Golden
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ewig währte.
    Das wahre Leben tickte dummerweise nach anderen, weniger angenehmen Regeln.
    Drake zog die schwere Tür aus Glas und Messing auf und stieg die Rampe hinauf. Auf einer Seite stand ein Mann mit einem langen, ungepflegten Vollbart und eingesunkenen Augen. Er hielt ein Schild hoch, das den bevorstehenden Weltuntergang verkündete, und es ließ sich schwer einschätzen, ob er diesem Moment freudig entgegenfieberte oder ihn bedauerte.
    Als er die Haupthalle betrat – die gewaltige, verzierte Kammer, die ihm zuerst in den Sinn kam, wenn er ans Grand Central-Terminal dachte – , marschierte er schnurstracks zur Uhr.
    Er entdeckte Sully, der direkt darunter stand, aber der ältere Mann hatte ihm den Rücken zugekehrt und behielt offenbar die Treppe auf der anderen Seite des Terminalgebäudes im Auge. Vermutlich dachte er an die Kinderwagen-Szene in De Palmas Die Unbestechlichen , eine Hommage an den russischen Streifen Panzerkreuzer Potemkin .
    Sie waren ein paarmal gemeinsam durch die Grand Central spaziert, und jedes Mal hatte Sully ihm von dieser Treppe erzählt. Dann bemerkte Sully ihn offenbar und wurde munter. Er schüttelte ab, woran auch immer er gerade gedacht hatte. Dem gequälten Ausdruck auf seinem Gesicht nach zu urteilen, hielt Drake es für wahrscheinlich, dass er sich wohl doch nicht mit alten Gangsterfilmen beschäftigt hatte.
    „Nate“, sagte Sully. „Danke, dass du gekommen bist.“
    „Ich war ja schon unterwegs. Musste bloß einen Umweg machen“, entgegnete Drake.
    Normalerweise definierte sich ihr inniges Verhältnis größtenteils über Geplänkel, doch in diesem Fall glaubte er ausnahmsweise, dass ihr üblicher lockerer Umgang miteinander vielleicht unangemessen sein könnte.
    „Was ist los, Sully? Du hast etwas von einem Mord gefaselt. Ich brauche dich nur anzuschauen, um zu wissen, dass du damit nicht übertrieben hast.“
    Sully blickte finster drein und strich sich seinen grauen Schnurrbart glatt. „Ich bin nicht gerade mein übliches fröhliches Selbst, was? Nein, ich schätze nicht. Aber du siehst selbst auch nicht gerade wie das blühende Leben aus, also solltest du dich diesbezüglich vielleicht lieber mit einem Urteil zurückhalten.“
    Drake hob die Augenbrauen.
    „Ich freue mich auch, dich zu sehen.“
    Ein müdes Lächeln umspielte Sullys Lippen, und ein Hauch seines üblichen Schalks erhellte seine Augen, doch dann verging das Lächeln, und sein Blick verfinsterte sich wieder. Er nickte mit dem Kopf in Richtung der Reihe bogenförmiger Durchgänge, die zu den Zugschächten und Bahnsteigen führten.
    „Komm mit. Hier entlang“, sagte er.
    Drake folgte ihm, ohne weitere Fragen zu stellen. Wenn Sully wollte, dass sich ihm die Antwort auf das, was hier im Argen lag, auf eine bestimmte Weise erschloss, würde Drake ihm den Gefallen tun. In den Jahren ihrer Freundschaft hatte sich Sully das und noch viel mehr verdient.
    Er musterte Sully, als sie zu einer Treppe gelangten und die Stufen zu einer tiefer gelegenen Ebene hinabzusteigen begannen. Sully, ein Säufer und ein unverbesserlicher Weiberheld, wirkte stets, als wäre er besser als Casinospieler im Havanna der 1950er Jahren aufgehoben gewesen, statt im Amerika des 21. Jahrhunderts. Sein ergrauendes Haar sah ein wenig widerspenstig aus, und die dunklen Ringe unter seinen Augen wiesen darauf hin, dass er die vergangene Nacht nicht allzu viel Schlaf gefunden hatte. Er trug eine braune Leder-Bomberjacke über einem Hemd aus Guayabera-Leinen, das sich vor allem in Lateinamerika und in der Karibik großer Beliebtheit erfreute. Sowohl das Hemd als auch die Khakihosen, die er trug, waren zerknittert, was wiederum nahelegte, dass er diese Klamotten schon seit dem Vortag am Leib hatte, unabhängig davon, wie viel Schlaf ihm tatsächlich vergönnt gewesen sein mochte.
    Es war beinahe zwei Monate her, seit Drake Sully das letzte Mal gesehen hatte. Allerdings hatten sie vor kaum einer Woche miteinander telefoniert, und zu diesem Zeitpunkt hatte es keinerlei Hinweise darauf gegeben, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Doch Mörder warnten ihre Opfer nun mal in den seltensten Fällen vor.
    Sully führte ihn durch die Stationshalle in der unteren Ebene und an den bogenförmigen Zugängen zu einem Labyrinth unterirdischer U-Bahn-Schächte vorbei, bis er schließlich durch einen dieser Bögen ging und ein Dutzend Stufen zu einem Bahngleis hinunterstieg. An der Decke über ihnen flackerten Lampen, und das nahe und ferne Rumpeln der
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