Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Um Haaresbreite

Um Haaresbreite

Titel: Um Haaresbreite
Autoren: Clive Cussler
Vom Netzwerk:
Seidenfutter, rasiermesserscharf gebügelte Hosen, zweifarbige Schuhe aus Leder mit Wildlederbesatz. Was an ihm jedoch am meisten auffiel, war eine automatische Mauserpistole, die er in seiner schlanken, weiblichweichen Hand hielt.
    »Was, zum Teufel, soll denn das?« knurrte Meechum überrascht.
    »Ein Raubüberfall, meine Herren«, sagte der Mann mit leicht spöttischem Lächeln. »Ich dachte, das wäre deutlich genug.«
    »Sie sind wahnsinnig«, fuhr Harding ihn an. »Wir haben nichts, was Sie rauben können.«
    »Ihr Bahnhof hat einen Safe«, sagte der Fremde und nickte zu der Stahlkiste hin, die auf einem Tisch in einer Ecke des Büroraums stand. »Und Safes enthalten wertvolle Dinge, beispielsweise Lohntüten.«
    »Mister, die Beraubung einer Eisenbahngesellschaft ist ein Verbrechen auf Bundesebene. Außerdem ist Wacketshire eine rein landwirtschaftliche Siedlung. Hier gibt es keine Lohntransporte. Verdammt noch mal, wir haben ja noch nicht einmal eine Bank.«
    »Ich bin nicht gewillt, mich über die Wirtschaftslage von Wacketshire zu unterhalten.« Er zog den Sicherungshebel der Mauser zurück. »Öffnen Sie den Safe.«
    Der Pfiff heulte wieder auf, viel näher jetzt, und Harding wußte aus Erfahrung, daß der Zug nur noch eine Viertelmeile entfernt war. »Bitte sehr, wie Sie wollen, aber zuerst muß ich noch den
Limited
stoppen.«
    Der Schuß ging los, und Meechums Schachbrett flog in Stücken durch den Raum, verteilte die Figuren auf dem Linoleumfußboden. »Keine blöden Reden mehr über das Stoppen von Zügen! Nun machen Sie schon.«
    Harding starrte den Räuber mit schreckgeweiteten Augen an.
    »Sie verstehen mich nicht. Die Brücke könnte einstürzen!«
    »Ich verstehe nur, daß Sie den Schlaumeier spielen wollen.«
    »Ich schwöre bei Gott…«
    »Er sagt die Wahrheit«, fiel Meechum ein. »Wir wurden eben telefonisch aus Albany wegen der Brücke gewarnt.«
    »Bitte, hören Sie uns an!« flehte Harding. »Das Leben von hundert Menschen steht auf dem Spiel. Wollen Sie das auf dem Gewissen haben?« Er hielt inne, wurde totenbleich, als das Scheinwerferlicht der sich nähernden Lokomotive durch das Fenster drang. Dem Pfiff nach konnte sie höchstens noch zweihundert Meter entfernt sein. »Um Gottes willen…«
    Meechum riß Harding die Laterne aus der Hand und sprang auf die offene Tür zu. Ein weiterer Schuß knallte. Die Kugel drang in seine Hüfte, und er stürzte kurz vor der Schwelle zu Boden. Er rollte sich auf die Knie, schwang den Arm, wollte die Laterne auf die Schienen hinauswerfen. Der Mann mit dem Strohhut packte sein Handgelenk, hielt Meechum den Lauf der Pistole an die Schläfe und trat mit dem Fuß die Tür zu.
    Dann wirbelte er zu Harding herum und zischte: »Öffnen Sie den verdammten Safe!«
    Beim Anblick der Blutlache, die sich vor Meechum auf dem Boden ausbreitete, drehte sich Hardings Magen um, und dann tat er, was man ihm befohlen hatte. Er stellte die Kombination am Safe ein, blickte verzweifelt und hilflos dem vorbeidonnernden Zug nach, sah, wie die Lichter der Pullmanwagen sich in den Bahnhofsfenstern spiegelten. Kaum eine Minute später verklang das Rattern des letzten Wagens auf den Schienen, und der Zug war fort, bewegte sich der Brücke zu.
    Das Schloß sprang auf, und Harding drückte den Hebel auf, öffnete die schwere Tür und trat beiseite. Der Inhalt bestand aus einigen nicht abgeholten Paketen, alten Logbüchern, Tagesund Wochenberichten und einer Bargeldkasse. Der Räuber nahm die Kasse und zählte den Inhalt.
    »Achtzehn Dollar und vierzehn Cents«, sagte er mit gleichgültiger Miene. »Nicht gerade viel, aber für ein paar Tage Essen dürfte es reichen.«
    Er faltete die Scheine, steckte sie in seine Brieftasche, ließ die Münzen in seine Hosentasche gleiten. Dann warf er die leere Kasse lässig auf den Schreibtisch, trat über den am Boden liegenden Meechum und verschwand in der stürmischen Nacht.
    Meechum stöhnte und wälzte sich herum. Harding kniete und hob ihm den Kopf hoch. »Der Zug…?« lallte Meechum.
    »Sie bluten ziemlich stark«, sagte Harding. Er zog ein rotes Halstuch aus seiner Gesäßtasche und drückte es auf die Wunde.
    Meechum biß die Zähne zusammen und blickte Harding mit glasigen Augen an. »Rufen Sie am Ostufer an… Fragen Sie nach… ob der Zug in Sicherheit ist.«Harding ließ den Kopf seines Freundes wieder auf den Boden sinken. Er griff nach dem Telefon, schob den Hebel zurück, öffnete die Sprechanlage. Er schrie in das Mundstück,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher