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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel
Autoren: Jandy Nelson
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Geräusch, mit dem Grama zusammengebrochen ist, dann dieser unmenschliche Ton, der aus ihr aufstieg, der durch die Dielenbretter drang, bis hinauf in unser Zimmer.
    Ich schaue rüber zu Toby. Er wirkt überhaupt nicht nervös. Mir wird etwas klar.
    »Bist du schon da gewesen?«, frage ich.
    »Klar doch«, antwortet er. »Fast jeden Tag.«
    »Wirklich?«
    Er guckt mich an, langsam dämmert es ihm. »Willst du damit sagen, du bist seitdem nicht wieder da gewesen?«
    »Nein.« Ich schaue aus dem Fenster. Ich bin eine furchtbare Schwester. Gute Schwestern besuchen Gräber, trotz grauenvoller Gedanken.
    »Grama kommt vorbei«, sagt er. »Sie hat ein paar Rosenbüsche gepflanzt und einen Haufen andere Blumen. Die Friedhofswärter haben ihr gesagt, sie müsse sie wegnehmen, aber jedes Mal, wenn sie ihre Pflanzen rausgerissen haben, hat sie einfach wieder welche eingepflanzt. Schließlich haben sie aufgegeben.« Ich kann gar nicht glauben, dass außer mir alle zu Baileys Grab gegangen sind. Ich kann gar nicht glauben, wie ausgeschlossen ich mich deswegen fühle.
    »Und was ist mit Big?«, frage ich.

    »Ich finde öfter Stummel von seinen Joints. Ein paar Mal waren wir zusammen da.« Er guckt rüber zu mir und sieht sich mein Gesicht für etwa eine Ewigkeit an. »Das ist nicht so schlimm, Len. Viel leichter, als du denkst. Das erste Mal hatte ich auch richtig Angst.«
    Dann kommt mir ein Gedanke. »Toby«, sage ich zögerlich und nehme meinen ganzen Mut zusammen. »Du bist es doch sicherlich gewohnt, ein Einzelkind zu sein …« Meine Stimme wird zittrig. »Aber für mich ist das ganz neu.« Ich schaue raus. »Vielleicht könnten wir …«, plötzlich bin ich zu schüchtern, um meinen Gedanken zu Ende zu führen, aber er weiß, worauf ich hinauswill.
    »Ich hab mir immer eine Schwester gewünscht«, sagt er und biegt in eine Parklücke auf dem winzigen Parkplatz ein.
    »Gut«, sage ich, ganz und gar erleichtert. Ich lehne mich zu ihm hinüber und gebe ihm den sexlosesten kleinen Schmatz auf die Wange. »Komm mit«, fordere ich ihn auf, »sagen wir ihr, dass es uns leidtut.«

    (Gefunden auf einem Stück Papier zwischen den Büchern der öffentlichen Bibliothek von Clover unter dem Buchstaben B)

35. Kapitel
    ICH HABE EINEN PLAN. Ich werde Joe ein Gedicht schreiben, doch eins nach dem anderen.
    Als ich in den Musiksaal komme, ist Rachel schon dabei, ihr Instrument auszupacken. Das ist der Moment. Meine Hand ist so feucht, dass ich beim Durchqueren des Raumes fürchte, der Griff von meinem Kasten könnte mir aus der Hand rutschen.
    »Wenn das nicht John Lennon ist«, sagt sie, ohne aufzuschauen. Ist sie wirklich so schrecklich, dass sie mir Joes Spitznamen unter die Nase reibt? Offenbar, ja. Na gut, denn die Weißglut scheint meine Nerven zu beruhigen. Los geht’s.
    »Ich fordere dich heraus, ich will erste Klarinette spielen«, sage ich. Wilder Applaus und stehende Ovationen brechen in meinem Kopf aus. Noch nie haben sich Worte aus meinem Mund so gut angefühlt! Hmm. Auch wenn Rachel sie anscheinend nicht gehört hat. Sie fummelt noch immer mit ihrem Blatt und der Blattschraube herum, als ob der Startschuss nicht gerade gefallen wäre, als ob die Startfahne nicht gerade hochgegangen wäre.

    Ich will mich gerade wiederholen, als sie sagt: »Du bist ein Nichts, Lennie.« Sie rotzt meinen Namen auf den Boden, als wäre sie angewidert davon. »Er klammert sich derart an dich. Warum bloß?«
    Kann dieser Augenblick noch schöner werden? Nein! Ich versuche ganz ruhig zu bleiben. »Das hat nichts mit ihm zu tun«, sage ich und nichts könnte wahrer sein. Mit ihr hat es auch nichts zu tun, nicht wirklich, obwohl ich das nicht sage. Es geht um mich und meine Klarinette.
    »Ach was«, sagt sie. »Du machst das nur, weil du mich mit ihm gesehen hast.«
    »Nein.« Meine Stimme überrascht mich schon wieder mit ihrer Gewissheit. »Ich will die Solos, Rachel.« Da hört sie auf, an ihrer Klarinette herumzufummeln, legt sie auf dem Notenständer ab und schaut mich an. »Und ich fange wieder bei Marguerite an.« Das hab ich auf dem Weg zur Probe beschlossen. Jetzt ist mir ihre ungeteilte, total panische Aufmerksamkeit sicher. »Und ich werde mich auch für All-State bewerben«, sage ich. Das ist mir allerdings neu.
    Wir starren uns an und zum ersten Mal frage ich mich, ob sie nicht das ganze Jahr gewusst hat, dass ich beim Vorspielen absichtlich das Handtuch geworfen habe. Vielleicht hat sie gedacht, sie könnte mich so einschüchtern,
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