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Über den Ursprung des Übels

Titel: Über den Ursprung des Übels
Autoren: Albrecht von Haller
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selig jene Schar, die, von der Welt verachtet,
Der Dinge wahren Wert und nicht den Wahn betrachtet,
Und, treu dem innren Ruf, der sie zum Heile schreckt,
Sich ihre Pflicht zum Ziel von allen Taten steckt!
Gesetzt, daß Welt und Hohn und Armut sie mißhandeln,
Wie angenehm wird einst ihr Schicksal sich verwandeln,
Wann dort, beim reinen Licht, ihr Geist sich selbst gefällt,
Das überwundne Leid zu seiner Wollust hält
Und innig hold mit Gott, dem Urbild ihrer Gaben,
Sie Gott, das höchste Gut, in steter Nähe haben!
    Indessen ist die Welt, die Gott zu seinem Ruhm
Und unserm Glücke schuf, des Übels Eigentum:
In allen Arten ist das Los des Guten kleiner,
Wo tausend gehn zur Qual, entrinnt zur Wohlfahrt einer,
Und für ein zeitlich Glück, das keiner rein genießt,
Folgt ein unendlich Weh, das keine Ruh beschließt.
O Gott voll Gnad und Recht, darf ein Geschöpfe fragen:
Wie kann mit deiner Huld sich unsre Qual vertragen?
Vergnügt, o Vater, dich der Kinder Ungemach?
War deine Lieb erschöpft? ist dann die Allmacht schwach?
Und konnte keine Welt des Übels ganz entbehren,
Wie ließest du nicht eh ein ewig Unding währen?
    Verborgen sind, o Gott! die Wege deiner Huld,
Was in uns Blindheit ist, ist in dir keine Schuld.
Vielleicht, daß dermaleinst die Wahrheit, die ihn peinigt,
Den umgegoßnen Geist durch lange Qualen reinigt
Und, nun dem Laster feind, durch dessen Frucht gelehrt,
Der Willen, umgewandt, sich ganz zum Guten kehrt;
Daß Gott die späte Reu sich endlich läßt gefallen,
Uns alle zu sich zieht und alles wird in allen.
Dann seine Güte nimmt, auch wann sein Mund uns droht,
Noch Maß, noch Schranken an und hasset unsern Tod.
Vielleicht ersetzt das Glück vollkommener Erwählten
Den minder tiefen Grad der Schmerzen der Gequälten;
Vielleicht ist unsre Welt, die wie ein Körnlein Sand
Im Meer der Himmel schwimmt, des Übels Vaterland!
Die Sterne sind vielleicht ein Sitz verklärter Geister,
Wie hier das Laster herrscht, ist dort die Tugend Meister,
Und dieses Punkt der Welt von mindrer Trefflichkeit
Dient in dem großen All zu der Vollkommenheit;
Und wir, die wir die Welt im kleinsten Teile kennen,
Urteilen auf ein Stück, das wir vom Abhang trennen.
    Dann Gott hat uns geliebt. Wem ist der Leib bewußt?
Sagt an, was fehlt daran zur Nutzbarkeit und Lust?
Seht den Zusammenhang, die Eintracht in den Kräften,
Wie jedes Glied sich schickt zu menschlichen Geschäften,
Wie jeder Teil für sich und auch für andre sorgt,
Das Herz vom Hirn den Geist, dies Blut von jenem borgt;
Wie im bequemsten Raum sich alles schicken müssen,
Wie aus dem ersten Zweck noch andre Nutzen fließen,
Der Kreis-Lauf uns belebt und auch vor Fäulung schützt,
Der ausgebrauchte Teil von uns sich selbst verschwitzt,
Und unser ganzer Bau ein stetes Muster scheinet
Von höchster Wissenschaft, mit höchster Huld vereinet!
Soll Gott, der diesen Leib, der Maden Speis und Wirt,
So väterlich versorgt, so prächtig ausgeziert,
Soll Gott den Menschen selbst, die Seele nicht mehr schätzen?
Dem Leib sein Wohl zum Ziel, dem Geist sein Elend setzen?
Nein, deine Huld, o Gott, ist allzu offenbar!
Die ganze Schöpfung legt dein liebend Wesen dar:
Die Huld, die Raben nährt, wird Menschen nicht verstoßen,
Im Kleinen ist er groß, unendlich groß im Großen.
    Wer zweifelt dann daran? Ein undankbarer Knecht!
Drum werde, was du willst, dein Wollen ist gerecht!
Noch Unrecht, noch Versehn kann vom Allweisen kommen,
Du bist an Macht, an Gnad, an Weisheit ja vollkommen!
Wann unser Geist gestärkt dereinst dein Licht verträgt
Und uns des Schicksals Buch sich vor die Augen legt;
Wann du der Taten Grund uns würdigest zu lehren,
Dann werden alle dich, o Vater! recht verehren
Und kündig deines Rats, den blinde Spötter schmähn,
In der Gerechtigkeit nur Gnad und Weisheit sehn!
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