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Über den Ursprung des Übels

Titel: Über den Ursprung des Übels
Autoren: Albrecht von Haller
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über deren langen und blauen Rücken die hintere hohe Kette der obersten Alpen weit emporragt. Unter den letztern sind das Wetterhorn, Schreckhorn und andere erstaunlich hohe Spitzen bekannt.
Ja, alles, was ich seh, des Himmels tiefe Höhen,
In deren lichtem Blau die Erde grundlos schwimmt;
Die in der Luft erhabnen weißen Seen,
Worauf durchsichtigs Gold und flüchtigs Silber glimmt;
Ja, alles, was ich seh, sind Gaben vom Geschicke!
Die Welt ist selbst gemacht zu ihrer Bürger Glücke,
Ein allgemeines Wohl beseelet die Natur,
Und alles trägt des höchsten Gutes Spur!
    Ich sann in sanfter Ruh dem holden Vorwurf nach,
Bis daß die Dämmerung des Himmels Farben brach,
Die Ruh der Einsamkeit, die Mutter der Erfindung,
Hielt der Begriffe Reih in schließender Verbindung,
Und nach und nach verknüpft, kam mein verwirrter Sinn,
Uneinig mit sich selbst, zu diesen Worten hin:
    Und dieses ist die Welt, worüber Weise klagen,
Die man zum Kerker macht, worin sich Toren plagen!
Wo mancher Mandeville des Guten Merkmal mißt, Der Verfasser des bekannten Gedichtes von den Bienen, der die Laster für ebenso nützlich als Tugenden und für die Triebfedern alles unsers Tuns angesehen hat.
Die Taten Bosheit würkt und Fühlen Leiden ist.
Wie wird mir? Mich durchläuft ein Ausguß kalter Schrecken,
Der Schauplatz unsrer Not beginnt sich aufzudecken,
Ich seh die innre Welt, sie ist der Hölle gleich:
Wo Qual und Laster herrscht, ist da wohl Gottes Reich?
Hier eilt ein schwach Geschlecht, mit immer vollem Herzen
Von eingebildter Ruh und allzu wahrem Schmerzen,
Wo nagende Begier und falsche Hoffnung wallt,
Zur ernsten Ewigkeit; im kurzen Aufenthalt
Des nimmer ruhigen und nie gefühlten Lebens
Schnappt ihr betrogner Geist nach echtem Gut vergebens.
So wie ein fetter Dunst, der aus dem Sumpfe steigt,
Dem irren Wandersmann sich zum Verführen zeigt:
So lockt ein flüchtig Wohl, das Wahn und Sehnsucht färben,
Von Weh zu größerm Weh, vom Kummer zum Verderben.
Nie mit sich selbst vergnügt sucht jeder außenher
Die Ruh, die niemand ihm verschaffen kann als er;
Getrieben vom Gespenst stets hungriger Begierden
Sucht er in Arbeit Ruh und Leichterung in Bürden;
Umsonst hält die Vernunft das schwache Steuer an,
Der Lüste wilde See spielt mit dem leichten Kahn,
Bis der auf seichtem Sand und jener an den Klippen
Ein untreu Ufer deckt mit trocknenden Gerippen.
Wer ists, der einen Tag von Tausenden erlebt,
Den nicht in seine Brust die Reu mit Feuer gräbt?
Wo ist in seltnem Stern ein Seliger geboren,
Bei dem der Schmerz sein Recht auf einen Tag verloren?
Was hilfts, daß Gott die Welt aufs angenehmste schmückt,
Wann ein verdeckter Feind uns den Genuß entrückt?
Aus unserm Herzen fließt des Unmuts bittre Quelle;
Ein unzufriedner Sinn führt bei sich seine Hölle.
Noch selig, wäre noch der Tage kurze Zahl
Für uns zugleich das Maß des Lebens und der Qual!
Ach, Gott und die Vernunft gibt Gründe größrer Schrecken,
Vor jenem Leben kann kein Grabstein uns bedecken.
Nachdem der matte Geist die Jahre seiner Acht,
Verbannt in einen Leib, mit Elend zugebracht,
Schlägt über ihm die Not mit voller Wut zusammen,
Verzweiflung brennt in ihm mit nie geschwächten Flammen,
Und die Unsterblichkeit, das Vorrecht seiner Art,
Wird ihm zum Henker-Trank, der ihn zur Marter spart;
Im Haß mit seinem Gott, mit sich selbst ohne Frieden,
Von allem, was er liebt, auf immer abgeschieden,
Gepreßt von naher Qual, geschreckt von ferner Not,
Verflucht er ewig sich und hoffet keinen Tod.
 
    Elende Sterbliche! zur Pein erschaffne Wesen!
O daß Gott aus dem Nichts zum Sein euch auserlesen!
O daß der wüste Stoff einsamer Ewigkeit
Noch läg im öden Schlund der alten Dunkelheit!
Erbarmens-voller Gott! in einer dunkeln Stille
Regiert der Welten Kreis dein unerforschter Wille,
Dein Ratschluß ist zu hoch, sein Siegel ist zu fest,
Er liegt verwahrt in dir, wer hat ihn aufgelöst?
Dies weiß ich nur von dir, dein Wesen selbst ist Güte,
Von Gnad und Langmut wallt dein liebendes Gemüte;
Du Sonne wirfest ja, mit gleichem Vater-Sinn,
Den holden Lebens-Strahl auf alle Wesen hin!
O Vater! Rach und Haß sind fern von deinem Herzen,
Du hast nicht Lust an Qual, noch Freud an unsern Schmerzen,
Du schufest nicht aus Zorn, die Güte war der Grund,
Weswegen eine Welt vor nichts den Vorzug fund!
Du warest nicht allein, dem du Vergnügen gönntest,
Du hießest Wesen sein, die du beglücken könntest,
Und deine Seligkeit, die aus dir selber fließt,
Schien dir noch seliger, sobald sie
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