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Tybee Island

Tybee Island

Titel: Tybee Island
Autoren: Susan Clarks
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die besten Freunde, aber Mel hatte sie ohne Murren bei sich aufgenommen, als sie eine Bleibe gebraucht hatte. Womöglich machte sie sich Sorgen.
    Jen wandte sich um und griff zu dem Telefon, das auf dem Nachttisch neben dem Bett stand. Sie besaß schon immer ein gutes Zahlengedächtnis, sodass sie ohne Probleme Mels Nummer eintippte. Nach kurzem Läuten hob sie ab.
    »Hallo Mel, ich bin’s.«
    »Jen?« Mel klang verwundert. »Wo steckst du?«
    »Ich bin bei einem Freund, den ich gestern zufällig auf der Party getroffen hab.«
    »Ich hab gesehen, dass du in der Nacht angerufen hast, aber als ich dich zurückrufen wollte, war dein Handy abgeschaltet.«
    »Ich hab dich angerufen?«
    »Wie betrunken warst du denn schon wieder?«, fragte Mel und seufzte.
    Jen biss sich auf die Lippe, atmete tief durch, um den Seitenhieb zu ignorieren. »Mein Akku ist leer.«
    »Hast du dich wenigstens gut amüsiert?«
    »Äh, ja.« Wie ehrlich sollte sie zu ihrer Freundin sein? »Und wie geht es dir?«
    »Oh, danke der Nachfrage. Während du dir mal wieder die Kante gegeben und dich von irgendeinem Typen hast abschleppen lassen, habe ich in die Kloschüssel gekotzt, bis nur noch Galle hochkam.«
    Jens Griff um den Hörer verstärkte sich. »Ich hab mich nicht abschleppen lassen.«
    »Ach nein?« Mels Stimme triefte vor Sarkasmus. »Warum bist du dann in einem fremden Bett aufgewacht?«
    Langsam ließ sich Jen in den Sessel fallen, der neben der Terrassentür stand. Sie wünschte, sie könnte etwas erwidern, damit sie besser dastünde. Aber es gab nichts zu ihrer Verteidigung zu sagen.
    »Hab ich’s doch gewusst. Immer dasselbe.«
    »So ist es nicht.« Jen bereute bereits, dass sie ihre Freundin angerufen hatte.
    »Jen, hör zu«, sagte Mel versöhnlicher. »Ich weiß, du hast ’ne schwere Zeit, aber diese Trinkerei bringt doch nichts.«
    »Ich trinke nicht.« Das tat sie wirklich nicht. Sie hatte kein Alkoholproblem. Sie wollte nur … abschalten, vergessen.
    »Aber du besäufst dich bei jeder Gelegenheit und landest dann mit irgendwelchen Typen im Bett, denen du am nächsten Morgen noch nicht mal mehr ins Gesicht blicken kannst.«
    Jens freie Hand verkrampfte sich zu einer Faust und sie biss die Zähne fest aufeinander. Am liebsten hätte sie den Telefonhörer gegen die Wand geworfen, nur, damit sie Mels Predigt nicht mehr hören musste.
    »Vielleicht solltest du dir professionelle Hilfe suchen.«
    Jen stöhnte auf. Das war echt das Letzte, das sie brauchen konnte. »Ich benötige sicher keinen Psychodoktor.«
    »Jen …«
    »Nein, Mel. Lass stecken. Mir geht’s gut. Ich bin jung und Single und ich genieße mein Leben. Das tun andere auch, deshalb würdest du sie noch lange nicht zu irgendeinem Seelenklempner schicken.«
    Mel atmete hörbar aus. »Jen, so kann’s aber doch nicht weitergehen.«
    Ein Schweigen machte sich breit, in dem nur ab und an ein leises Knacken in der Leitung zu hören war. Jen hatte jegliches Interesse verloren, noch weiter mit ihrer Freundin zu reden.
    »Soll ich Marcus bitten, dass er dich abholt?«, fragte Mel schließlich.
    »Ist nicht nötig«, erwiderte Jen und erhob sich aus dem Sessel. »Wie gesagt, ich bin bei einem alten Freund. Und ich glaube, es ist besser, wenn ich hier noch ein Weilchen bleibe. Aber danke.« Ohne auf Mels Antwort zu warten, legte sie auf. Sie stellte das Telefon zurück auf seinem Platz und schlenderte zur Terrassentür. Nichts auf der Welt hätte sie dazu gebracht, einzugestehen, dass sie gestern Abend genau die Scheiße gebaut hatte, von der Mel gerade gesprochen hatte. Ihr Selbstwertgefühl hatte so schon einen Knacks, da wollte sie sich nicht auch noch die Blöße vor ihrer Freundin geben. Sie hatte kein echtes Problem. Wirklich nicht. Sie brauchte nur ein wenig Abstand.
    Jen öffnete die Tür und schlenderte barfuß den Weg entlang, der bis zum Strand führte. Am Ende des einfachen Holzsteges stand ein Liegestuhl, der mit Sicherheit schon bessere Zeiten erlebt hatte. Jen gefiel er auf Anhieb. Als sie darin versank, atmete sie tief durch. Sie schloss die Augen und genoss die leichte salzige Brise, die der Wind vom Wasser her zu ihr trug. Hier könnte sie es aushalten. Welche Alternativen hatte sie schon? Sie könnte zu Mel fahren, zu Kreuze kriechen und es sich wieder auf der Couch in dem kleinen Appartement gemütlich machen, warten, bis der Sommer um war, und sie wieder zurück auf den Campus musste. Oder sie siedelte zwischenzeitlich doch zu ihren Eltern über, aber sie
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