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Tybee Island

Tybee Island

Titel: Tybee Island
Autoren: Susan Clarks
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Tatsächlich lebte sie das Leben einer Nonne. Sie stand auf, ging zur Arbeit und kehrte wieder in ihre kleine Wohnung zurück. Im Großen und Ganzen war das ihr Tagesablauf seit etwa zwölf Monaten. Das Jahr davor war geprägt gewesen von den zahlreichen Floristikkursen, die sie besucht hatte.
    Seufzend stand sie auf und schlenderte zur Eingangstür. Es war ein guter Tag gewesen. Ein schöner Tag, der es wert war, ihn in Erinnerung zu behalten. Sie griff nach ihrem Regenschirm und spannte ihn auf, als sie ins Freie trat. Sofort prasselten die Regentropfen darauf nieder. Sie wollte sich gerade umdrehen, um abzuschließen, als sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen Mann entdeckte. Obwohl sie durch das triste Regenwetter kaum etwas erkennen konnte, wusste sie sofort, wer es war.
    Craig.
    Wie angewurzelt blieb sie stehen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, ihr Griff um den Regenschirm verstärkte sich, während sie ihn nur weiter anstarren konnte.
    Craig. Seit mehr als zwei Jahren hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Seit zwei Jahren, drei Monaten und zwölf Tagen. Seit sie durch die Tür gegangen war und das Strandhaus verlassen hatte. Über Tom hatte sie erfahren, dass er zu den Navy SEALs zurückgekehrt war. Dass er keine Einsätze mehr mitmachte, sondern als Ausbilder arbeitete. Diese Tatsache hatte sie über die vergangenen zwei Jahre hinweggetröstet. Sie hatte richtig gehandelt.
    Tief sog sie die feuchte Luft ein, als sich Craig langsam in Bewegung setzte. Er blickte kurz nach links und nach rechts und eilte über die Straße. Mit wenigen Schritten stand er vor ihr. Craig. Ihr Craig. Den Kragen seiner Jacke hochgeschlagen, die Hände tief in den Taschen vergraben, lächelte er sie an, als wären sie nie getrennt gewesen.
    Mehr als zwei Jahre hatte sie auf diesen Moment gewartet.
    »Hallo Jen.«
     

     
    Sie hatte sich in den zwei Jahren kaum verändert. Ihre Haare trug sie kürzer, aber das Blau ihrer Augen war dasselbe. Genauso wie die Lebensfreude, die daraus hervorblitzte. Es fand sich auch eine Wachsamkeit darin, die er so an ihr nicht kannte.
    »Hallo, Craig.«
    Der Regen rann ihm in den Kragen, das Wasser tropfte von seiner Stirn. Es war ihm egal. Sein Lächeln wurde breiter. »Lange nicht gesehen.«
    Jen nickte leicht.
    Er nahm seine Umgebung längst nicht mehr wahr. Stattdessen verlor er sich in Jens Augen. Sekunden sahen sie einander einfach nur an.
    »Warum bist du gekommen?«, fragte sie schließlich.
    Gute Frage. Warum war er gekommen? Weil er musste. Nachdem Jen ihn verlassen hatte, hatte er drei Tage lang Gott und die Welt verflucht. Hatte auf den Sandsack eingeschlagen, als wäre er der Grund allen Übels. Lief Kilometer um Kilometer, bis sein Knie ihn zum Aufgeben zwang. Erst dann entdeckte er in seinem Schlafzimmer das Foto von sich und seinen SEAL-Kameraden, das er Wochen zuvor in einem Wutanfall zerschlagen hatte. Es stand in einem neuen Rahmen auf der Kommode. Lange starrte er es an, erinnerte sich daran, was ihm die Männer auf dem Foto bedeutet hatten, was es für ihn bedeutet hatte, einer von ihnen zu sein. Er öffnete seinen Kleiderschrank und kramte aus dem tiefsten Winkel eine Kiste hervor, in der er alle Habseligkeiten verstaut hatte, die etwas mit den SEALs oder seiner Zeit beim Militär zu tun hatten. Immer wieder strichen seine Finger über das SEAL-Abzeichen, den Budweiser auf seiner Uniform. Über den goldenen Adler mit dem Marineanker, dem Dreizack und der Pistole. Um dieses Abzeichen zu erhalten, hatte er vieles auf sich genommen. War an seine Grenzen gegangen und weit darüber hinaus. Damals hatte er es sich verdient und er war immer stolz gewesen, es zu tragen. Hatte sich daran tatsächlich etwas geändert? Hatte er sich den Budweiser weniger verdient, weil er im Kampf verletzt worden war? Sollte er weniger stolz sein, ihn zu tragen? Er war ein Navy SEAL. Mit Leib und Seele. Nichts würde daran etwas ändern.
    Noch am selben Tag hatte er seinen Commander angerufen und erklärt, dass er unverzüglich zurückkehren würde. Dass er wieder Teil des Teams sein wollte, egal, auf welche Art und Weise. Es hatte nicht mehr lange gedauert, bis klar war, dass er zukünftig Ausbilder sein würde. Er hätte nie gedacht, dass ihm diese Tätigkeit so viel Freude bereiten würde. Die Grünschnäbel darauf vorzubereiten, was sie da draußen womöglich erwartete, empfand er als eine tief befriedigende Arbeit.
    »Craig?«, fragte Jen, als er nicht antwortete.
    »Ich wollte dich
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