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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen
Autoren: Marie Cristen
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beide ein schmutziges Geheimnis teilten, war längst zur Gewissheit geworden.
    Mit gespitzten Ohren schien Adriens Pferd Spaß an den Selbstgesprächen des Reiters zu bekunden, und da Adrien für die Reise einen leichten Harnisch und keine vollständige Rüstung gewählt hatte, kamen sie schnell voran. Sie würden Faucheville am frühen Nachmittag erreichen, falls der Rappe nicht ein Eisen verlor oder sich andere Hindernisse in den Weg stellten.
    Die Seine im Rücken, tauchten Ross und Reiter unter das schattige Dach der Wälder. Die Jagdreviere des Königs erstreckten sich weit über sanfte Hügel und versteckte Täler, nur von wenigen Lichtungen und Dörfern unterbrochen. Adrien brachte das Pferd erst zum Stehen, als endlich wieder Sonne seine Schultern wärmte. Inzwischen war es Mittag. Sein knurrender Magen erinnerte ihn daran, dass er in der Eile vergessen hatte, Proviant mitzunehmen.
    Während er am Ufer eines versteckten Wasserlaufs den Rappen trinken ließ, tauchte er die Hände in den Bach und kühlte sich das Gesicht. Er strich sich die hellen Haare aus der Stirn, verschränkte die Finger im Nacken, ließ sich zurücksinken und blinzelte in den Maienhimmel.
    Er sah sich am Tisch des Königs sitzen, nah genug, um in die versteinerte Miene Isabelles blicken zu können. Sie hatte Paris als dreizehnjährige Prinzessin verlassen, um König Edward von England zu heiraten. Aus dem klugen, schönen, ehrgeizigen Kind war seitdem eine unglückliche Königin geworden, die ihren drei Schwägerinnen das heitere Leben neidete, das sie an der Seite ihrer Brüder führten. Sie hatte der englischen Krone einen Erben geschenkt, und ihr Stolz und ihre Ehre litten darunter, dass der König statt der eigenen Ehefrau wechselnde Günstlinge in sein Bett holte. Und alle Welt wusste es. Blanche hatte mit einer törichten Bemerkung auch noch Salz in die Wunde gestreut. Welch ein Glück, dass Charles nur Augen für mich hat, hatte sie gestichelt, Euer Gemahl, liebste Isabelle, betrachtet ihn auf eine Art, die mich sonst in Sorge versetzen würde.
    Bei Gott – er war froh, allen den Rücken gekehrt zu haben. Auch Isabelle, die er einmal sehr verehrt hatte, war ihm fremd geworden. Sie war jetzt achtzehn, und von ihrer einst fröhlichen Kindlichkeit war nichts geblieben.
    Das gemächliche Kauen seines Rappen wirkte einschläfernd auf Adrien. Seine Gedanken wanderten voraus nach Faucheville. Wie stand es um die Aussaat? Hatte der Burgvogt den Wassergraben bereits reinigen lassen? Gab es möglicherweise schon die ersten Kirschen? Wie viele Fohlen waren geboren worden?
    Séverine würde ihm jede Frage beantworten können.
    Séverine. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, ohne dass er sich dessen bewusst war. Wie alt war sie wohl inzwischen? Jünger als die überspannte Blanche, aber sicher kein Kind mehr. Eine Jungfer, über deren Zukunft man sich Gedanken machen musste. Wie lange hatte er schon nicht mehr an Séverine gedacht? Sein letzter Besuch in Faucheville lag Jahre zurück. Würde sie sich noch an ihn erinnern?
    Augenblicklich drängte es ihn, den letzten Teil des Weges hinter sich zu bringen. Ein prüfender Blick zum Himmel zeigte ihm, dass sich der Horizont mit grauen Regenwolken säumte. Dieser Frühling brachte mehr Regen als irgendeiner in den Jahren zuvor. Hoffentlich wurde der Sommer besser. Der Boden war überreich mit Feuchtigkeit gesättigt, und die keimende Saat würde ertrinken, wenn es so weiterging.
    Adrien schüttelte die düsteren Gedanken ab. Sein Pfiff rief den Rappen. Er schwang sich in den Sattel. Es war an der Zeit, sich ein Aufatmen zu gönnen. Faucheville würde ihm den Kopf frei machen. Im festen Glauben daran trieb er sein Pferd über zunehmend vertrautere Wege vorwärts, bis schließlich die Mauern der Burg in der Ebene vor ihm auftauchten.
    Mit donnernden Hufen, ohne sich um die verblüfften Blicke der Bauern auf den Feldern zu kümmern, jagte er auf Faucheville zu. Die herabgelassene Zugbrücke unter dem quadratischen Torturm gab den Weg über den Burggraben frei. Nirgendwo waren Wachen zu entdecken. Der Friede des fruchtbaren Landstrichs, nördlich von Étampes und Morigny, hatte die Vorsicht des Burgvogts offensichtlich einschlafen lassen. Während er in den weiten Burghof sprengte, nahm sich Adrien vor, den Mann zur Rede zu stellen. Eine gutgeführte Burg sollte sich nie in falscher Sicherheit wiegen.
    Eine Magd, die ein Holzbrett mit frischen Broten vom Backofen ins Haus trug, geriet bei seinem
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