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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise
Autoren: Michael Marcus Thurner
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entsprechend. »Ich werde alles daran setzen, Euren Tod nach allen Regeln der Etikette in Szene zu setzen.«
    Mit gesenktem Kopf watete er zurück, Schritt für Schritt, weg vom Götzlichen. Er vermied den Blickkontakt mit dessen Zweitgesicht, jenem talgigen Rund, das der Herrscher umgegurtet hatte und dem gegenüber er zur Wahrheit verpflichtet war. Es stellte seine Gefühle in simplen Emotikons dar. Sicherlich zeigten sich dort Angst, Abscheu und Widerwillen, denn Pramains Worte waren gelogen.
Die Domiendramer waren hinlänglich dafür bekannt, den Tod zu fürchten, und der Götzliche machte in dieser Hinsicht keine Ausnahme.
    Der Götzliche war von 46 Hofdamen umgeben, die sich um sein Wohlergehen kümmerten. Mit aller Hingabe massierten sie seine im lehmigen Boden verwurzelten Beine, schmeichelten mit wohlgesetzten Worten seiner Eitelkeit, sangen sinnbetörende Lieder. Ihr Herrscher gab sich wohlig grunzend den Annehmlichkeiten hin. Sein Kopf sank langsam nach hinten, die vielfach geäderten Arme zogen sich zur gekrümmten Schlafposition zusammen.
    Die Schwingtüren schlossen sich hinter Turil. Der Thanatologe brachte sich das Ende des höfischen Zeremoniells in Erinnerung und verharrte für weitere fünf Atemzüge in gebückter Haltung. Erst dann richtete er sich auf und streckte den schmerzenden Rücken durch.
    »Seine Herrlichkeit ist mit all deinen Forderungen einverstanden«, sagte ein verknorpelter Hofschranze mit ausdrucksloser Stimme. »Jedwedes Mittel, das zum Gelingen des Tötungsaktes vonnöten ist, wird dir so rasch wie möglich zur Verfügung gestellt. Bis es so weit ist, möchten wir dich bitten, Stadt und Land zu besichtigen. Sicherlich findest du weitere Inspiration für das Rahmenprogramm der Tötung, wenn du dich unters Volk mischst und eingehender mit Domiendram beschäftigst.«
    »Ich danke dir für deinen wertvollen Rat.« Turil nickte seinem Gegenüber zu. Die Bitte war in Wahrheit eine Anweisung, ein Befehl. »Wenn du mir einen ortskundigen Reisebegleiter zur Verfügung stellen würdest?«
    »Ein frisch geschlüpftes Fünkchen wird dich begleiten.« Der Hofschranze deutete auf ein leuchtendes Geschöpf, das sich von seinem Stammlicht löste und mit Hilfe der
Filigranarme auf Turil zuflatterte. »Es weiß über deine Bedürfnisse Bescheid und wird dir alles sagen, was du wissen musst.«
    »Du bist zu höflich.« Lügen und Schmeicheleien waren ein fixer Bestandteil seines Lebens, nicht nur im Umgang mit Klienten. Der Thanatologe mochte keine Fünkchen. Sie besaßen zu viel freien Willen, und sie zeigten allzu viele Eigenwilligkeiten. Dennoch deutete er eine letzte Verbeugung in Richtung des Thronsaales an, bevor er sich zur Seite drehte und aus dem Vorraum entfernte. Vorbei an in Fantasiedecken gehüllten Mitgliedern des Hofstaates, die sich den Anschein gaben, unglaublich wichtige Notizen auf vergilbten Wachsblättern niederschreiben zu müssen, verließ er diesen ältesten Teil des Hofkastells. Seine Schritte klackten zunächst über totes und morsches Holz, dann über steinigen Boden, schließlich über angenehm weichen Kunststoff. Domiendramische Wächterdrohnen erwarteten ihn am Ende des langen Ganges. Sie unterzogen ihn einer peinlich genauen Leibesvisitation, wie sie es bereits bei seinem Kommen getan hatten, und ließen jene Achtung vermissen, die ihm eigentlich zustand.
    Turil blieb stumm. Er beobachtete, sondierte, sammelte Eindrücke, formte ein Gesamtbild dessen, was er bislang zu hören und zu sehen bekommen hatte.
    »Wir bitten dich um Verzeihung«, meldete sich das nun lichterloh brennende Fünkchen erstmals zu Wort. »Die Außenwelt ist nicht so, wie sie sein sollte. Wir lieben die wonnewuschelige Wärme des Inneren Hofkastells und wünschten uns, dass es überall auf Domiendram so wäre.«
    »Selbstverständlich.«
    »Willst du uns einen Namen geben? Wir hätten gerne eine Identität.«

    »Nein. Du bist ein Fünkchen. Du besitzt kein Anrecht auf einen Namen.«
    Turil nahm den speckigen Zeremonienmantel in Empfang und zog ihn über. Er hatte sein Gewand hier zurücklassen müssen, bevor ihm der Zutritt zum Inneren Hofkastell gewährt worden war. Hatten die Wächter die Geheimnisse des Mantels entdeckt? Unwahrscheinlich. Er wusste sich zu tarnen und zu schützen. Dennoch fühlte Turil Erleichterung, als er die Insignien seines Berufsstandes in den vielen Taschen und Beuteln spürte, und er ärgerte sich im nächsten Moment über diese seltsame Emotion.
    »Wohin möchtest du
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