Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise
Autoren: Michael Marcus Thurner
Vom Netzwerk:
würde kommen, Zituyns Arbeit fortsetzen und eine neue Generation prachtvollen Blattgemüses heranziehen. Aus seinen Körperresten würde Neues entstehen.
    Der Pelzige kümmerte sich nicht weiter um ihn. Er hatte die Metallfläche mittlerweile fast erreicht. Deren Wachstum - oder Metamorphose? - gewann eine neue Qualität. Seitenwände klappten aus ihr hoch, immer schneller, nach einem ähnlichen Muster wie zuvor die Bodenfläche. Ein Gebäude entstand, ein Kubus, dessen Kanten und Ecken so scharf wirkten, als könnte man sich an ihnen schneiden. Immer höher strebte das seltsame Bauwerk in den sich allmählich verdüsternden Himmel.
    Zituyn beobachtete mit nachlassendem Interesse, wie sein Mörder vor dem letzten verbliebenen Tor in dem Gebilde wartete. Im Inneren zeichneten sich weitere quecksilberne Beulen im Boden ab. Auch sie wurden zu Lebewesen, deren pfeifender Atem weithin zu hören war. Sobald sie dem Boden vollständig entwachsen waren, schlüpften sie durch die Türe und gesellten sich zu dem Vorboten.
    Zituyn bemühte sich, der Unterhaltung dieser Wesen Worte zu entnehmen, die er verstand. Doch die Zischund Reibelaute besaßen keinerlei Verwandtschaft zu jenen Sprachen, derer er mächtig war.

    Er hustete, dunkelgrüner Schleim quoll aus seinem Mund. Der Himmel verdunkelte sich weiter, Wolken zogen aus dem Nordgebirge heran. Ein Donnergrollen folgte den ersten Blitzen, die das Firmament mit einem schaurig-schönen Muster überzogen.
    Das Leben rann aus Zituyn, unaufhörlich. Sein Geist verwirrte sich zunehmend, Reflektionen eines ausgefüllten, aber viel zu kurzen Lebens zogen an ihm vorbei.
    Mit ihnen kehrte die im Unterbewussten gespeicherte Erinnerung an einen vor Jahren gelesenen Bericht zurück. Er hatte von einem im Kahlsack marodierenden Volk gehandelt, das gemeinhin »Kitar« genannt wurde. Dessen Angehörige tauchten völlig unvermittelt auf. Sie brandschatzten und vernichteten, von einer Wut getrieben, die ihr einziges Motiv zu sein schien. Städte, Kontinente, Planeten und mitunter ganze Sonnensysteme vergingen im Feuer der Kitar.
    Das Gewitter nahm seinen Anfang. Schwere Tropfen prasselten auf Zituyn nieder und brachten ihm ein wenig Linderung. Die Fingersprossen fühlten werdendes Leben in der Erde. Dass er den Beginn eines neuen Zyklus fühlen konnte, erschien ihm als tröstlicher Gedanke. Alles endete, und alles begann wieder von neuem.
    Oder?
    Das Gebäude der Kitar erreichte seine Vollendung. Der Kubus ragte nun so weit in den Himmel, dass er Zituyns Horizont fast vollends ausfüllte. Antennen ragten wie überdimensionierte Nadeln daraus hervor. Sie zogen die Blitze des Gewitters an und ließen die rote Außenhaut des Gebäudes aufleuchten. Mindestens zwanzig der fremdartigen Wesen labten sich an den Energiestößen. Ihre Körper glühten auf, ab und zu stöhnten sie unkontrolliert. Sie ließen
den Sturm über sich ergehen, mit einer seltsamen Mischung aus Geilheit und Abscheu.
    Zituyns Herz wollte und wollte nicht aufhören zu schlagen. Warum musste er dies alles sehen? Warum nahm ihn der Tod nicht endlich zu sich und erlöste ihn von seinem Leid?
    Er begann ein altes Gebetsmantra vor sich hin zu brabbeln. Die Worte, lange verdrängt und vergessen, schenkten ihm Trost …
    Die Hitze eines Strahlschusses fächelte über Zituyn hinweg. Sie verbrannte die Bäume, den Hügel, die Gebäude dahinter, brachte das Gestein zum Schmelzen. Aus einem einstmals blühenden Land wurde binnen weniger Augenblicke ein Schlackehaufen, auf dem nichts mehr existieren konnte.
    Zituyn starb mit dem Wissen, dass sich die Kitar auf den Weg gemacht hatten. Sie begannen, Domiendram zu vernichten. Die Zyklen des Lebens würden endgültig zu einem Ende kommen.

2 - TAGS ZUVOR: DAS ORAKEL
    Der Tote Herrscher wandte sich Turil zu. Seine Herrlichkeit Pramain der Götzliche ließ die Seitenkiefer schwer aufeinanderfallen; das mahlende Geräusch erzeugte Töne, die mit etwas Fantasie als Sprache erkennbar waren.
    »Es beruhigt mich, mein Tötungszeremoniell in den geschickten Händen eines so erfahrenen Thanatologen zu wissen«, sagte der Götzliche. »Mein Lebensende bedeutet nicht nur einen glorreichen Abschluss meiner Existenz, sondern auch einen Neubeginn des Lebenszyklus. Für die erlauchten Hofdamen, für mein Volk, für ganz Domiendram.«
    Der Totengräber verneigte sich. »Das Lob aus so berufenem Munde ist wie Labsal, Eure Herrlichkeit, von dem ich nur selten kosten darf«, sagte er, dem Zeremoniell
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher