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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman
Autoren: Daniela Danz
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dann einzeln zu sein, fraglos, gefahrlos. Ich dachte, hier oben müßte es anfangen, daß ich Stellung beziehe. Hier oben, wo man meinen könnte, man wäre allein, ohne die Fragen der anderen, ohne Streit, müßte ich zuerst einen Streit mit mir selbst anfangen. Darüber, welche der vielen Möglichkeiten meine sein könnte. Wie lange ich dafür brauchen würde, wußte ich nicht. Aber ich wußte, daß das Leben auf dem Turm nicht für immer war, wahrscheinlich nicht mal für lange.
Vater
    Vater kam nie zu mir auf den Dachstuhl, Vater war sowieso nicht da. Das wußte ich, seit ich das erste Mal mit ihm auf dem Umgang war. Nicht, daß er vorher für mich dagewesen wäre, aber ich hatte die Hoffnung, mit dem Leben auf dem Turm würde sich auch für uns etwas ändern. Er konnte hier ja nicht mehr so oft weg, wie er wollte. Du kannst jetzt nicht mehr in die Wiesen, sagte ich, während wir beide über die Stadt in die Ferne sahen. In die Wiesen nicht, antwortete er in einem Ton, der mir sagen sollte, daß er wohl wußte, wohin er gehen würde. Ich sah in seine Augen: nichts als zwei Stück blauer Himmel im Kopf meines Vaters. Ich wollte es nicht glauben und versuchte durch seine Augen hindurchzusehen. Er hielt eine Weile meinem Blick stand, und tatsächlich sah ich die Wolken über seine Iris ziehen. Dann sah er weg, aber nicht er hatte diese Probe verloren, sondern ich. Ich durfte nicht mehr mit ihm auf dem Umgang sein. Um diesen Preis hatte ich ihm das Geheimnis abgekauft: Seine Augen waren bodenloser Himmel. Vater hatte früher einmal zu mir gesagt: Schönheit ist, wodurch wir frieren wollen, wenn unsere Wärme überschüssig ist.
Luke
    Der Dachstuhl war mein Reich geworden. Mein riesiges Reich, dessen entfernte Gegenden noch immer unentdeckt waren. Anfangs war es der Blick aus den schmalen Dachluken, mit dem ich mir immer wieder dieses neue Leben vor Augen rief. Die Stadt durch eine Luke, eine kleine Öffnung zu betrachten machte sie weiter, als ich sie jemals gesehen hatte. Das nicht abreißende Blaugrau des Himmels zwängte sich durch die enge Blende der Luke, um sich in meinem Kopf auszubreiten. Bis ich so viel davon hatte, daß ich von der Luke zurücktreten mußte in das hölzerne Dunkel des Dachstuhls, um nicht überzugehen ins Grenzenlose. Oder die Luke öffnen, den Kopf hinausstrecken und sehen, daß diese Welt noch dieselbe war, in der ich früher leben konnte, ohne etwas von der Wucht des Himmels zu spüren.
    Doch ich durfte die Luke nicht immer öffnen, Vater saß oft auf dem Umgang und sah herüber und fragte am Abend: Was machst du da? Und was machst du? fragte ich zurück. Er sah mich an, und ich sah ihn an, und jeder spiegelte sich in den Augen des anderen: Du bist die schnell sirrende Frage und das Geschoß, das die Stirn erreicht. Du bist der Knochen, der mich panzert. Mutter sieht uns durchdringend von der Seite an, bis wir voneinander ablassen. Wie die Hunde, was war denn das, wie Hunde wart ihr ineinander verbissen. Mutter schüttelt den Kopf. Sie schiebt Brot und Wurst zwischen uns. Man weiß nicht, was sie über kämpfende Hunde denkt. Angst habe ich nicht vor Vater. Nur manchmal denke ich, ich müßte eine geräumigere Antwort haben. An solchen Tagen öffne ich die Luke nicht.
Schwüle
    Donatus lacht mir entgegen: Ah, unser Haustaubenjunges, so festen Tritts des Weges. Was ist, Donatus, was soll das? Mir ist heute nicht nach seinen Scherzen. Sei doch nicht so empfindlich, Jan. Ich meine nur das Gerede über deinen Vater: Die Haustaube und ihre Sippschaft, die haben sich rechtzeitig ein luftiges Plätzchen gesucht, bevor es in der Welt ungemütlich wird. Ungemütlich? frage ich, aber ich will gar nicht wissen, was sie reden. Sie reden sowieso, wir haben auch über die Alten auf dem Turm geredet. Donatus sieht mich mit gespielter Verwunderung an: Ja, merkst du denn gar nichts, es ist so schwül hier unten, als ob es bald donnert. Was donnert? fragte ich, obwohl ich jetzt ganz gut verstand, worauf er hinauswollte, aber ich wollte wissen, was er dazu meinte. Nun stell dich doch nicht so an, Jan. Es ist einfach so, daß diese ganze Spannung sich ja mal entladen muß. So was geht nicht ohne heftiges Gewitter. Donatus sah mich an, und sein Gesicht bekam kurz einen nachdenklichen Ausdruck, bis er sagte: Eigentlich ist es ja dann nicht so, daß ihr euch da oben in Sicherheit gebracht hättet. Eigentlich trifft es euch bei einem Gewitter zuerst. Ich wunderte mich über ihn, es war nicht seine Art, in
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