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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman
Autoren: Daniela Danz
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Flügel. Findet er dagegen eine, die sich verirrt hat, dann schlägt er sie mit Leichtigkeit und verschlingt sie
.
Freunde
    Köppen sah ich nur noch selten. Er hatte sich mit Donatus und Hellmund andere Plätze gesucht, alles war anders geworden, seit ich hier oben war. Sie nahmen mich noch mit, wenn ich sie fragte, aber meist wußte ich nicht, wo sie waren. Ohnehin hatte ich wenig Zeit, ich schlief tagsüber viel, wegen der Nachtwachen. Anfangs fragten sie mich noch, wie es sei, auf dem Turm. Aber meine Antworten schienen nicht das zu sein, was sie erwarteten. Donatus, der Schöne, mit den graugrünen Augen, war mir noch fremder als früher. Er erzählte Geschichten aus seinem Turnverein, die mich ebenso langweilten, wie ihn meine Erzählungen vom Leben auf dem Turm. Beim Erzählen warf er mit einer fast weiblichen Bewegung seines Kopfes einige in die Stirn fallende Strähnen seines langen Blondhaars zurück. Ich glaube, er wußte nichts von dem Reiz, der von dem Kontrast seines Körpers zu dieser Bewegung ausging. Donatus’ Leben hatte etwas beruhigend Gleichmäßiges für mich. Selbst seine Zukunft schien vorstellbar. Aber ich kam nicht hinein in dieses Leben. Vielleicht wollte ich es auch nicht, eigentlich wollte ich Donatus nur ansehen.
    Und Hellmund? Mir fiel auf, daß ich ihn fast vergessen hatte, seit ich hier oben war. Dabei hatte ich immer gedacht, man könne Hellmund gar nicht vergessen. Er war unser heimlicher Mittelpunkt. Und das gerade deshalb, weil er sich immer entzog. Er legte sich nicht fest, er hatte für niemanden eine Vorliebe, er war launisch und melancholisch. Kommst du heute abend, Hellmund? Mal sehen, vielleicht. Er wurde nie vergessen, aber es schien, als ob er selbst sich nie an jemanden erinnerte und mit Leichtigkeit jeden vergaß. Hellmund bat um gar nichts, aber er bekam, was er wollte. Wenn er fröhlich war, waren wir es auch. Wenn er niedergeschlagen war, wollte jeder mit ihm allein sein und ihn auf seine Weise trösten. Hellmund hätte ich früher gern zum Freund gehabt, aber ich sah bald ein, daß das nicht möglich war. Ich weiß nicht, ob überhaupt einer Hellmunds Freund sein konnte.
    Nur Köppen, den großen, schweren Köppen habe ich nicht einen Tag vergessen. Er redete im Gegensatz zu Donatus nicht viel, und da auch ich in seiner Gegenwart nichts zu sagen wußte, vermied ich es, mit ihm allein zu sein. Dabei wollte ich ihn so oft fragen, was er über dieses oder jenes dachte. Doch wenn ich mich endlich traute, warf er mir erst einen kurzen gespannten Blick zu, um dann gleichgültig zu fragen: Was ist? Ich verlor den Mut und sagte nur: Ach, nichts, und er fragte nicht weiter nach. Dann war da noch dieser Nachmittag auf dem Dachboden. Wir haben nie wieder darüber gesprochen. Obwohl er die Tür zum Turm öffnen konnte, sind wir nicht noch einmal zusammen auf dem Turm gewesen. Vielleicht war er manchmal ohne mich hier, fiel mir jetzt ein. Oder mit einem anderen. Nein, mit einem anderen nicht, bestimmt nicht.
Summen
    Ich wußte lange nicht, woher es kam: das tiefe Summen. Wenn es auch leise war, drang es bis in den äußersten Winkel des Gestühls. Ich durchstreifte den Dachboden auf der Suche nach der Ursache dieses Geräuschs. Ich fand nichts, es war mal näher, mal ferner, oder es setzte ganz aus. Seine Fremdartigkeit verwirrte mich ebensosehr wie das Gefühl, daß es mir auf unangenehme Weise vertraut war. Als ich dann vor dem leeren Nest stand, dachte ich noch immer nicht an Wespen. Nur an Papier, mittäglich weiß und leicht. Schichten über Schichten trockenen Papiers. Das vergessene Gewand einer Gestalt mit unbekannten Proportionen. Erst als ich es eine Weile betrachtet hatte, fiel mir ein, daß es das Nest eines vergangenen Wespenstaats sein mußte. Ein so großes Nest hatte ich noch nie gesehen. Seine Tausenden Bewohner tot. Nur eine war hiergeblieben, und in ihrem Summen beim einsamen Aufbau eines neuen Nestes lag der tausendfache tiefe Ton des künftigen Sommerstaats. Jetzt wußte ich, warum es für mich bedrohlich geklungen hatte. Bedrohlich wie in eine marschierende Menschenmenge zu geraten. Das Gefühl des plötzlichen Umschlags dieses Geräuschs einer großen Masse in den Angriff auf das einzelne Fremde, das den Ablauf zu stören droht: eine rasante Verdichtung und Entladung, ein Zielloswerden gerichteter Energien. Ich hatte es in der Hand, die Königin zu finden und mit ihr den Staat zu vernichten, den sie in kurzer Zeit hervorbringen würde. Aber ich hatte Angst,
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