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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman
Autoren: Daniela Danz
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seine Aufgabe als beendet, drückte Vater die Dienstinstruktionen in die Hand, blickte angestrengt Richtung Nordwest: Was kommt aus dem Schornstein, wer geht ein und aus. Er hatte es eilig.
Zimmer
    Wir blieben zurück, Vater, Mutter und ich. Mutter mit zitternden Nasenflügeln, Vater zog die Augenbrauen hoch, schob die Unterlippe vor und sagte: Hmm. Ich wartete darauf, daß er den Zettel auf den Tisch legte, denn ich wußte, er hatte ihn längst vergessen. Es kam nur darauf an, ihn zu nehmen, bevor Mutter ihn nehmen konnte. Ich drückte mich an ihr vorbei und stellte mich neben den Tisch. Vater sagte noch einmal: Hmm, und ging auf den Turmumgang hinaus. Den Zettel legte er achtlos hin. Als ich danach langte, fühlte ich Mutters Blick auf meiner Hand. Doch sie sagte nichts, ich nahm das Papier und ging an ihr vorbei in mein neues Zimmer.
    Mein erstes eigenes Zimmer – ein aus dem Himmel geschnittenes Stück Leere. Ein Bett stand darin, sonst nichts. Möbel hatten wir nicht mit auf den Turm bringen können. Die Wand war zu sechs Achteln gekrümmt. Eine rechtwinklige Ecke war um die außen entlanglaufende Wendeltreppe gebaut, dahinter stand das Bett. Eine dünne Wand trennte mich von den Schritten der Herauf- und Herabsteigenden. Von der Tür aus sah man auf ein kreisrundes Fenster mit einer in die tiefe Laibung eingelassenen Fensterbank zur Linken und Rechten. Ein Erker über der Stadt. Ich fragte mich, welches meine Aufgabe auf dem Turm sein würde, Vater hatte mir darauf bis jetzt nicht geantwortet. Vermutlich keine. Ich würde hier sitzen auf der Fensterbank und auf die Stadt sehen, bis ich gebraucht würde. Das könnte jederzeit und gar nicht sein. Ich hatte zu warten. Mir fiel der Zettel in meiner Hand ein, ich setzte mich und las: Dienstinstruktionen. Vaters Schritte umkreisten den Turm.
Instruktionen
    Wußte Vater, worauf er sich einließ? Ging dieses Wort jetzt in Schauern durch seinen Körper: unausgesetzt. Und jagte böig die Gedanken durcheinander. Immer, ständig, unausgesetzt anwesend sein. Vater, der so oft wegging, und keiner wußte wohin, der wiederkam, sich an den Tisch setzte und wartete, daß sein Leben wieder in den Takt fand, der uns zu einer Familie machte. Vater sollte eine Gleichung erfüllen, deren andere Seite lautete: stete Wachsamkeit, Umsicht und Pünktlichkeit, keine zerstreuende Nebenbeschäftigung. Tag und Nacht, unausgesetzt, auch wenn von abends elf Uhr bis morgens um sechs der Beiwächter half. Um den Turm auf ein paar Stunden pro Woche für Besorgungen zu verlassen, genügt mündliche Zusage des Magistrats. Für längere Zeit ein schriftlicher Antrag. Vertretung ist selbst zu stellen und zu bezahlen. Die immerwährende Wachsamkeit ist kundzutun durch viertelstündliches Pfeifen. In demselben Zeitabstand mindestens ein Rundgang um den Turm. Brandmeldung über einen Fernsprecher an Hauptfeuerwache. Jeden Abend acht Uhr Probegespräch zur Feststellung der Betriebssicherheit des Fernsprechers. Tägliches Aufziehen der Turmuhr und vierzehntägiges Schmieren derselben. Nach Gewitter, Regenguß und heftigem Sturm sofortiges und gründliches Untersuchen des Turmes und des Kirchendachs. Holz ist nur für die nächsten acht Tage auf den Turm zu schaffen. Der Unrat in gehörig verdeckten Kübeln von vier zu vier Tagen zur Nachtzeit behutsam am Kloben herabzulassen. Der Wasservorrat im Faß muß für drei Tage reichen. Vaters Schritte umkreisten den Turm noch immer. Ich wußte, er ahnte nichts. Er würde es nie ahnen, und nur der seine Säumigkeit verbergende Zufall und die Geduld des Kirchenvorstands würden das Ende seines Türmerlebens hinauszögern. Vielleicht würde dieses Ende auch aus anderen Gründen eintreten. Es war seit Jahren bekannt, daß diese Stadt eine der letzten war, die sich gleich drei Türmer leistete. Sie wuchs an den Rändern über den Gesichtskreis des Türmers hinaus. Die Meldesysteme der Feuerwehren waren ohnehin schneller und zuverlässiger. In den letzten fünfundzwanzig Jahren hatte nur einmal ein Türmer schneller gemeldet als die Feuerwehr. Das war bekannt, und Türmersohn zu sein war nichts, was man gern von sich sagte. Sohn eines Tagediebs und Sonderlings. Was erzählte man sich schon vom Leben hier oben: Gabriel Putzschel, wegen Dienstvernachlässigung und Schlägerei ins Gefängnis geworfen, Johann Christian Madlung, kaum einen der vielen Brände seiner Dienstzeit gemeldet und zahnlos, so daß man die Tradition des Choralblasens durch den Türmer abschaffen
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