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Türme & Tote (Schundheft) (German Edition)

Türme & Tote (Schundheft) (German Edition)

Titel: Türme & Tote (Schundheft) (German Edition)
Autoren: Ludwig Plärrer
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kribbelt irgendwie. Verdammt, wie sehen meine Haare aus? Bestimmt furchtbar!
    »Was treibst du eigentlich so?«, fragt er mich jetzt und, warum auch immer, es haut mich einfach um, ich weiß nicht warum, ich kann die Tränen nicht mehr halten, war halt alles ein bisschen zu viel auf einmal.
    »Och!«, macht er und schiebt seine Hand auf meine. Uh, ist die weich! Organistenhände halt.
    Ich schluchze und wische mir mit meinem letzten Papiertaschentuch die Tränen aus dem Gesicht. Mann, ist das peinlich!
    »Hab grad ziemliche Scheiße erlebt«, sage ich, als ich mich wieder gefangen habe, »Hat nix mit dir zu tun, also doch irgendwie, ich meine... ich brauchte gerade jemanden... oh Gott, was bin ich für ne Pussy!«
    »Erzähl«, sagt er ganz sanft und ruhig und drückt meine Hand. Unsere Finger verfangen sich ineinander, wir lösen sie, als die Eisbecher kommen.
    »Okay«, sage ich und erzähle. Von den Ninjajungs, von Joey und Toby, von der ganzen Scheiße halt, den Stürzen von den Türmen, sogar von der toten Katze gestern Nacht.
    »Fuck!«, sagt Gero und schaut finster drein. »Das ist ja ne ziemlich üble Kiste. Wie wärs mit Polizei?«
    Ich schüttele resolut den Kopf. »Nee, die lachen mich nur aus. Offiziell gibt es da nix zu ermitteln, die haben alles ad acta gelegt oder wie das heißt. Aus der Kacke muss ich irgendwie schon selber raus.«
    »Ich helf dir«, flüstert Gero und greift wieder nach meiner Hand. Oder ich nach seiner? Egal. Jedenfalls durchflutet es mich, wie dieser Alte mit Reimzwang jetzt wahrscheinlich sagen würde. Ich nicke und werde rot. Ich! Die coole Liana! Werde rot! Boah!
    Wir löffeln unser Eis. »Und wieso willst du Lehrer werden?«, frage ich ihn. Er schaut nicht gerade fröhlich aus, als er mir Antwort gibt.
    »Ach, weißt du, mein Vater... er ist Naturwissenschaftler und hätte gerne gehabt, wenn ich auch... Aber ich hab einfach nix dran, ich bin ein musischer Mensch. Nur halt ziemlich mittelmäßig. Und was machen mittelmäßige Menschen? Sie werden Lehrer.« Wir lachen gleichzeitig. Ja, ist was dran.
    »Weißt du was?«, sagt Gero, »die Chorprobe dauert nur ne knappe Stunde. Komm doch einfach mit. Setz dich in eine Bank und hör zu, das beruhigt die Nerven. Anschließend gehen wir dann ins Essbar und spachteln was Feines. Und dann...«
    Eigentlich hasse ich dieses Pünktchenpünktchenpünktchengerede, aber im Moment tuts richtig gut. Feines Kopfkino. Und hey, der Knabe hat Recht! Ich brauche dringend einen Freund, einen Vertrauten, das ist mir gerade klargeworden. Nein, es geht jetzt nicht ums Bett... äh, also nicht nur...

Unerwartete Begegnung

    Dass Georg Leim im Kirchenchor sang, überraschte Altmann nicht wirklich. Passte zu dem Heuchler. Noch bevor er die St.-Blasius-Kirche betreten hatte, schallten ihm durch Wand und Pforte die Bässe und Soprane, das Sichräuspern und Lachen der Sängerschar entgegen. So leise wie möglich trat er ein.
    Etwa zwanzig Personen standen vor dem Altar, einige hielten Notenblätter in der Hand, andere, auch Leim, standen in kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten sich gedämpft. Altmann schlüpfte hinter eine der Säulen unweit des Reliquienaltärchens. Noch wollte er sich dem Bäckermeister nicht zeigen, er würde das Singen abwarten, um zu beobachten, ob es ihm gelänge, den Schluri aus dem Takt zu bringen.
    Altmann hatte nichts gegen Chorgesang in hohl klingenden geschlossenen und zumeist auch unbeheizten Räumen, es drängte ihn aber nicht danach, solchen Veranstaltungen beizuwohnen. Mit seiner früheren Lebensgefährtin, einer gebürtigen Irseerin nebenbei, war er bisweilen zu solchen Events verdonnert worden. Sie arbeitete als Biologielehrerin am Gymnasium und war sehr phantasielos im Bett gewesen. Warum fiel ihm das jetzt ein? Er wusste es nicht. Vielleicht weil er sich nur bei diesen Chorveranstaltungen, zu denen sie regelmäßig gingen, noch mehr gelangweilt hatte als beim Geschlechtsverkehr. Nun ja, die Sache hatte sich irgendwie von selbst erledigt. Sie war jetzt mit einem Kollegen verheiratet und lebte in Augsburg, wo es bestimmt auch genügend kalte Kirchen gab, in denen mittelmäßig begabtes Sangesvolk die Menschheit terrorisierte.
    So in seine Reminiszenzen versunken, bemerkte Altmann nur am Rande, dass sich das Portal hinter ihm abermals geöffnet hatte. Er machte einen Schritt zur Seite, ganz mechanisch, sein Instinkt sagte ihm, es sei jetzt besser, nicht gesehen zu werden.
    Bravo Instinkt, gut gemacht. Altmann staunte
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