Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Trigger - Dorn, W: Trigger

Titel: Trigger - Dorn, W: Trigger
Autoren: Wulf Dorn
Vom Netzwerk:
abgewetzte braune Cordhose und ein Flanellhemd, das an der Brustseite mit Flecken übersät war. Wie es schien, hatte er eine Schwäche für Gerichte mit viel Bratensoße – oder zumindest für etwas, das in getrocknetem Zustand wie Soßenflecke aussah.
    Hingegen schien ihm der Verwendungszweck von Kamm und Rasierer nicht geläufig zu sein. Bartstoppeln standen ihm wie gläserne Nadeln aus dem faltigen, hohlwangigen Gesicht, und seine Frisur – wenn man dieses Wirrwarr überhaupt als eine solche bezeichnen konnte – erinnerte Ellen an das bekannte Foto von Albert Einstein, auf dem er dem Fotografen die Zunge herausstreckt.
    Hinzu kam Brenners strenger Geruch, der dem von überreifem Camembert ähnelte. Eine Mischung aus Urin, Schweiß und Talg, die die traurige Gestalt wie eine unsichtbare Wolke umgab.
    Heute hätte ich mir mein Calvin-Klein-Parfüm besser unter die Nase gerieben, als es aufs Dekolleté zu sprühen, dachte Ellen, ließ es sich aber nicht anmerken. Stattdessen sagte sie »Guten Tag« und streckte ihm die Hand entgegen.
    Brenner nahm sie nicht wahr, sondern glotzte wie hypnotisiert ins Nirgendwo.
    »Herr Brenner wurde vorhin von der Notaufnahme des Stadtklinikums zu uns verlegt«, erklärte Schwester Marion und überreichte Ellen die Einweisungspapiere.
    Die korpulente Krankenschwester musste die fünfzig schon eine Weile hinter sich gelassen haben. Weder Ellen noch das übrige Personal hatten viel Sympathie für sie übrig. Mit ihrem religiösen Missionarseifer und einer gluckenhaften
Fürsorglichkeit schaffte es Marion immer wieder, selbst die geduldigste Person in Rage zu bringen. Dabei war sie schon so lange auf Station 9 tätig, dass böse Zungen behaupteten, man habe ihr bereits vor Jahren eine Inventarnummer eintätowiert.
    »Der arme Kerl hat noch kein einziges klares Wort gesprochen«, fügte sie hinzu und tätschelte dabei Brenners Schulter, was dieser jedoch nicht mitzubekommen schien.
    »Wissen wir, was zu seiner Einweisung geführt hat?«, wollte Ellen wissen.
    »Eine Nachbarin hat ihn in die Notaufnahme gebracht, nachdem sie gesehen hatte, wie er bei sich zu Hause im Treppenhaus herumirrte. Er ist nicht ansprechbar und völlig verwirrt. Außerdem leidet er unter Gleichgewichtsstörungen. Kann kaum gehen, der Arme.«
    Wie um dies alles zu bestätigen, ließ Brenner seinem unsinnigen Gebrabbel einen Rülpser folgen. Dabei starrte er unbeirrt weiter auf einen Punkt, der sich irgendwo neben Ellens Stuhl am Boden befinden musste. Der Geruch aus seinem Mund veranlasste die beiden Frauen, sich von ihm abzuwenden.
    »Uia«, stieß Marion aus. »Was haben Sie denn nur gegessen, Herr Brenner?«
    »Pfummmmm«, lautete die Antwort.
    Ellen glaubte deren Übersetzung zu kennen. Zumindest hatte sie einen Verdacht, was die Flecken außer getrockneter Bratensoße noch sein konnten.
    »Möglicherweise Tierfutter.«
    Die dicke Schwester sah sie erstaunt an.
    »Er wäre nicht der erste Rentner, dem keine andere Wahl bleibt«, meinte Ellen und besah sich dann Walter Brenner
genauer. »Billiges Hundefutter nährt besser als billiger Konserveneintopf. Habe ich recht, Herr Brenner?«
    Brenner reagierte mit einem weiteren Zischlaut aus der Sprache der vollkommen Verwirrten. Ellen überging dies, testete seine Reflexe und erklärte ihm dann, sie werde sich nun seinen Aufnahmebogen durchsehen. Doch Brenner schien sich nach wie vor nur für den Fußboden zu interessieren.
    Ellen sah sich das Einweisungsformular nach einem Hinweis auf neurologische Auffälligkeiten durch. Möglicherweise hatte der Patient einen Schlaganfall gehabt, der die Ausfälle von Sprachvermögen und Gleichgewichtssinn verursacht hatte. Es konnte sich jedoch ebenso gut um eine ausgeprägte Altersdemenz handeln, was erklären würde, weshalb eine gewisse Frau Dr. März es für sinnvoll gehalten hatte, ihn in die Psychiatrie zu überweisen.
    Aber in diesem Fall hätte sich Brenner schon länger auffällig verhalten und wäre nicht in der Lage gewesen, sich allein in seiner Wohnung zu versorgen. Tierfutter hin oder her, er hätte es nicht einmal fertig gebracht, sich eigenständig welches zu kaufen.
    Also keine Demenz. Warum aber dann in die Psychiatrie? Ganz gleich, wie sie es auch drehte und wendete, diese Verordnung ergab für Ellen keinen Sinn.
    Sie blätterte zum Befund ihrer Kollegin. Was sie hinter dem Wort Diagnose zu lesen bekam, ließ sie staunen. Sie sah noch einmal Brenner an, dann wieder den Aufnahmebogen.
    Diagnose: F20.0 war dort
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher