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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest
Autoren: Philipp Espen
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beschäftigt. Heute hatte er anderes zu tun.
    Henri blickte nach oben. Selbst auf den hölzernen Galerien der umstehenden Häuser und hinter den Zinnen der Häuser mit Grabendächern standen Neugierige und beobachteten das Geschehen. In der Nähe der Kathedrale war es besonders voll, denn hier standen aufklappbare Verkaufsläden in Reih und Glied nebeneinander. Die ganze Nacht lang würden dort Waren verkauft werden.
    Wie lange war er nicht mehr in einer so lebendigen Stadt wie Quimper gewesen! Auf dem Weg hierher hatten er und die Gefährten jegliche Städte gemieden, um eventuellen Häschern zu entgehen. Sie waren durch menschenleere Regionen gezogen und auf geheimen Wegen und Pfaden gereist.
    Quimper wirkte wie eine Hafenstadt, obwohl das offene Meer ein paar Meilen entfernt lag und nur über die Odet zu erreichen war, die durch die Stadt floss. Henri hatte das Flair solcher Städte auf dem einsamen Ritt über Land vermisst – der Duft der vielen Menschen auf engem Raum, vor allem der Mädchen und jungen Frauen, stieg ihm, zusammen mit dem Geruch verdampfenden Regens im Straßenstaub, erregend in die Nase. Er musste an Marie denken, die er in Arles zurückgelassen hatte. In diesem Moment sah er sie ganz nah vor sich, und er merkte gar nicht, dass er aufseufzte. Marie war eine wunderbare Frau gewesen.
    Henri versuchte, die Kathedrale nicht aus den Augen zu verlieren, hinter der die Buchmalergasse begann, wurde aber von der wogenden Menge abgedrängt. Der Weinmarkt am Rathaus war ebenso verstopft wie der Platz vor der Kathedrale. Widerstrebend schlug er eine andere Richtung ein. Wenn es nur Angélique nicht noch schlechter ging! Henri sah die junge Frau vor seinem geistigen Auge allein in ihrem Krankenbett liegen. Was konnte in wenigen Stunden nicht alles geschehen. Sean hätte sie nicht allein lassen dürfen!
    An der fürstbischöflichen Residenz bemerkte Henri, dass zerlumpte Tagelöhner unter Anleitung städtischer Zunftarbeiter mit dem Abriss von Zuschauertribünen beschäftigt waren. Sie mussten für die große Hochzeit aufgestellt worden sein, die kürzlich hier stattgefunden hatte. Von einem Passanten hatte Henri erfahren, dass ein Cousin und eine Cousine des Herrschergeschlechtes der Adriennes sich vermählt hatten. Eintausend königliche und bretonische Reiter hatten sie zu Saint-Corentin geleitet, wo der Fürstbischof von Quimper ihnen das Sakrament der Ehe gespendet hatte.
    Henri war jetzt völlig eingekeilt. Einen solchen Pilgerstrom hatte er noch nie erlebt. Henri stieg vom Pferd und versuchte, es am Zügel durch die Menge zu führen, aber auch das war kaum möglich.
    Die Pilger waren aus allen Himmelsrichtungen gekommen. Die Seeleute waren in der Mehrheit, aber Henri sah auch Vertreter anderer Berufsgruppen und ständische Abgesandte unter gelben Sonnensegeln, Menschen aller Altersgruppen, Männer und Frauen, die hofften, auf der Wallfahrt geheilt oder von Dämonen befreit zu werden.
    Überall tranken die Pilger Wein, der von den Theken der Weinstände ausgeschenkt wurde. Brauer in fleckigen Lederschürzen rührten daneben in großen Holzbottichen Bier an, das in großen Krügen an den Mann kam. Auf den Plätzen brannten Holzkohlenfeuer, auf denen Fische gebraten wurden. Ein geschlachteter Ochse drehte sich am Spieß über lodernden Flammen. Frauen rupften Federvieh und legten es in Töpfe über offenes Feuer. Schweine wurden aus einem Stall zum Metzger getrieben, und über allem hing der Geruch von Vergorenem, von Vieh, von Ausdünstungen und von Gebratenem.
    Henri erblickte auch Kupplerinnen in der großen Menschenmenge. Sie sahen sich die Männer genau an, in denen sie Kunden witterten. Sie versuchten, die müden Pilger zu bestimmten Herbergen zu locken, schließlich mussten ja alle irgendwo unterkommen und ernährt werden. Und die Arkadengänge auf den Emporen der Kirchen, auf denen die Pilger während der großen Wallfahrten übernachteten, waren schon überbelegt. Selbst auf öffentlichen Plätzen lagerten Pilger. Aber die Kupplerinnen waren vor allem unterwegs, um junge, willige Mädchen anzubieten, Hübschlerinnen, die in den Frauenhäusern arbeiteten oder, von ihren Zuhältern beaufsichtigt, in gewissen Herbergen auf Besucher warteten.
    Henri suchte Schleichwege und bog gleich hinter Saint-Corentin in stillere Gassen ein. Da er die gesamte Stadt durchqueren musste, gab er seinem Pferd unwillkürlich die Hacken.
    Wieder kam er überhaupt nicht mehr weiter. Am Eingang zu dem Viertel, in dem
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