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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest
Autoren: Philipp Espen
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ihn vor Jahresfrist vor Nachstellungen geschützt, und für sein couragiertes Auftreten hatte Henri ihm nun noch einmal gedankt. Der damalige Zwischenfall war mittlerweile längst vergessen. Die umstrittene Kreuzreliquie wurde inzwischen in Saint-Corentin, der im Aufbau befindlichen Kathedrale von Quimper, gezeigt und lockte große Pilgerströme an. Henri wusste allerdings, dass die Reliquie eine Fälschung war.
    Nach seinem Besuch bei Priester Rohan hatte Henri die Gelegenheit genutzt, auch die Offizin am Mont Frugy aufzusuchen, die er vor Jahresfrist aus Gründen der Tarnung betrieben hatte. Inzwischen arbeitete dort ein Tuchhändler, den Henri zwar nicht kannte, dem er aber dennoch viel Glück und Erfolg wünschte. In seine damalige Tarnung wollte er nicht mehr schlüpfen, er hatte sich in Quimper jetzt als einfacher Reisender auf dem Weg nach Schottland ausgegeben. Sollte ihn jemand wieder erkennen, wäre das nicht schlimm, dann hielt man ihn halt für den Tuchhändler Meister Henri, der mit zwei Mitarbeitern reiste. Das war ihm in jedem Fall lieber als die Rolle des Minnesängers, die er in der Provence gespielt hatte.
    Während Henri nun durch die Straßen von Quimper ritt, spürte er seine Kräfte zurückkehren. Die Luft der Bretagne machte ihn frei. Hier fühlte er sich näher an seinen Wurzeln.
    Auf dem Weg zum Hospiz von Magister Priziac kam Henri in der kleinen, überquellenden Stadt kaum vorwärts. Er sah rasch ein, dass es sinnlos war, sein Pferd in der Menschenmenge zur Eile zu drängen, und so nutzte er die Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Henri konnte sich nicht erinnern, jemals so viel Zeit für den Weg vom Schanzentor zur Kathedrale aufgewendet zu haben. Sein Pferd wurde unruhig, und er musste den Falben kräftig zügeln.
    Ganz Quimper schien an diesem Abend auf den Beinen zu sein. Henri bemühte sich, sein Pferd elegant und ohne einen Passanten zu verletzen durch die holprigen, engen Gassen zu lenken, die trotz der neu verlegten und festgestampften Flusskiesel von heftigen Gewitterregen aufgeweicht waren. Was hatten all die Menschen so spät am Tag miteinander zu schaffen?
    Vielleicht witterten sie etwas, dachte Henri. Seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass es Momente gab, wo so etwas wie Blutgeruch in der Luft lag. Es war ein Geruch, der allen in die Nase kroch und von dem jeder angestachelt wurde, nicht nur der Pöbel.
    Vielleicht behinderten sich die Leute deshalb so eifrig, stießen sich an und schimpften miteinander, besonders wenn sie an einem der vielen hölzernen Laufbrunnen Halt machten, um sich zu erfrischen. Wenn der eine den anderen dabei aufhielt, griff so manche Hand drohend zu dem Schwert, das beinahe jeder männliche Einwohner von Quimper an der Seite trug.
    Während Henri weiterritt, beschlich ihn das seltsame Gefühl, all das schon einmal erlebt zu haben. Als er die Menschen auf den Straßen genauer betrachtete, begriff er allmählich, was die Stadt aufwühlte.
    Die einen kamen mit Banner und großem Gefolge, um das baldige Eintreffen des englischen Königs vorzubereiten, unter dessen Lehnsherrschaft Quimper ebenso stand wie die restliche Bretagne. Die anderen begannen mit den Kirchenfeiern zur Karwoche und trugen Weihestatuen aus Kalkstein in langen Gebetszügen zur Kathedrale. Die Handelshäuser wiederum ließen eine neue, breitere Straße durch die Stadt treiben; unförmige Baufahrzeuge auf hohen Speichenrädern waren schon aufgefahren und riegelten einen ganzen Bezirk ab.
    Henri zügelte seine Ungeduld. Wenn es nur Angélique nicht schlechter geht, dachte er. Und wenn nur mein Verdacht sich nicht bestätigt. Nebenbei erfuhr er von einem Einwohner, der trotz der warmen Witterung eine Pelzkappe trug, dass die Kapelle mit der Kreuzreliquie noch in dieser Nacht geweiht werden sollte.
    Inmitten des Trubels ergossen sich lange Pilgerströme in die Stadt. Die Pilger waren mit Filzhut, Stab, Pilgertasche und einem Reisesack ausgestattet, in dem bestimmt ihr Geleitbrief steckte, und alle kamen, um dem Reliquiar zu huldigen, einem Splitter des Heiligen Kreuzes, der bisher in der Kapelle des benediktinischen Nonnenklosters Notre-Dame-de-Locmaria, am anderen Ufer der Odet, aufbewahrt worden war. Nun schmückte das reich verzierte Kreuz, welches den Splitter barg, die Kathedrale und machte sie zu einem Wallfahrtsort für Pilger und Seefahrer.
    Obwohl sie nicht echt ist, dachte Henri. Aber dann schüttelte er den Gedanken ab, er hatte sich vor Jahresfrist bereits ausreichend damit
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