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Traveler - Roman

Traveler - Roman

Titel: Traveler - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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Sicht.
    Thorn packte Maya am Jackenkragen und zerrte sie zwischen den Prügelnden hindurch. Ein Mann ging auf sie los, aber Vater stoppte ihn sofort mit einem abrupten, ansatzlosen Schlag gegen den Hals. Maya rannte den Tunnel entlang, um zur Treppe zu gelangen. Unvermittelt streifte ihr jemand etwas
Längliches über die rechte Schulter und die Brust. Maya blickte nach unten und sah, dass Thorn einen blau-weißen Chelsea-Schal an ihrem Oberkörper festgeknotet hatte.
    In diesem Moment begriff sie, dass der Besuch im Zoo, die unterhaltsamen Geschichten, die Fahrt zum Restaurant Teil eines Plans gewesen waren. Vater hatte von dem Fußballspiel gewusst, war vermutlich schon einmal hier gewesen und hatte den Zeitpunkt ihrer Ankunft berechnet. Sie schaute über die Schulter und sah Thorn nicken und lächeln, so als hätte er ihr gerade eine seiner unterhaltsamen Geschichten erzählt. Dann wandte er sich ab und ging weg.
    Maya wirbelte in dem Moment herum, in dem drei Arsenal-Fans schreiend auf sie zugerannt kamen. Nicht nachdenken. Reagieren. Mit einer Bewegung wie beim Speerwurf stieß sie dem größten der Männer die Stahlspitze des Spazierstocks in die Stirn. Blut spritzte aus der Wunde, und die Beine des Mannes gaben nach, woraufhin Maya herumschnellte und den zweiten Mann über den Stock stolpern ließ. Als er nach hinten taumelte, sprang sie hoch und trat ihm ins Gesicht. Er vollführte eine halbe Drehung und fiel zu Boden. Erledigt. Er ist erledigt. Sie lief zu ihm und versetzte ihm einen Tritt.
    Als sie wieder mit beiden Beinen auf dem Boden stand, umschlang der dritte Mann sie von hinten und hob sie in die Höhe. Er versuchte, ihr mit dem Druck seiner Arme die Rippen zu brechen, doch Maya ließ den Stock fallen, griff mit beiden Händen nach hinten und krallte sich an seinen Ohren fest. Der Mann jaulte laut auf, als sie ihn über die Schulter zu Boden warf.
    Maya erreichte die Treppe, nahm zwei Stufen auf einmal und sah ihren Vater auf dem Bahnsteig an der geöffneten Tür eines U-Bahn-Wagens stehen. Er packte sie mit der rechten Hand und quetschte sie beide mit Hilfe der linken in das Abteil. Die Türen bewegten sich hin und her, doch schließlich schlossen sie sich. Einige Arsenal-Fans rannten zu dem Zug
und schlugen mit den Fäusten gegen die Scheiben, aber er setzte sich schon in Bewegung und verschwand im U-Bahn-Tunnel.
    Die Leute im Abteil standen dicht an dicht. Eine Frau weinte, und wenige Zentimeter von Maya entfernt drückte sich ein Junge ein Taschentuch gegen Mund und Nase. Der Zug fuhr um eine Kurve. Maya wurde gegen ihren Vater gedrückt und vergrub ihr Gesicht in seinem Wollmantel. Sie hasste ihn und liebte ihn, wollte gleichzeitig auf ihn einschlagen und ihn umarmen. Nicht weinen, dachte sie. Er beobachtet dich. Ein Harlequin weint nicht. Und sie biss sich so fest auf die Unterlippe, dass die Haut aufplatzte und sie ihr eigenes Blut schmeckte.

EINS
    M aya landete am Nachmittag auf dem Flughafen Ruzyně und fuhr mit dem Shuttlebus nach Prag. Die Wahl dieses Verkehrsmittels war ein kleiner Akt der Rebellion. Ein echter Harlequin hätte sich einen Mietwagen oder ein Taxi genommen. In einem Taxi konnte man jederzeit dem Fahrer die Kehle durchschneiden und selbst das Steuer übernehmen. Flugzeuge und Busse waren gefährlich, denn sie boten kaum Fluchtmöglichkeiten.
    Niemand hat vor, dich umzubringen, sagte sie sich. Niemand interessiert sich für dich. Traveler vererbten ihre Kräfte, und deshalb versuchte die Tabula, so wie sie die Bruderschaft nannten, alle Mitglieder ein und derselben Familie zu beseitigen. Die Harlequins verteidigten die Traveler und deren Lehrer, die Wegweiser, aber dies beruhte auf einem freiwilligen Entschluss. Das Kind eines Harlequins konnte dem Weg des Schwertes entsagen, einen bürgerlichen Namen annehmen und sich einen Platz im System suchen. Solange es keinen Ärger verursachte, ließ die Bruderschaft der Tabula es in Ruhe.
    Vor ein paar Jahren besuchte Maya einmal John Mitchell Kramer, den einzigen Sohn von Greenman, einem britischen Harlequin, der in Athen von den Tabula durch eine Autobombe ermordet worden war. Kramer hatte sich auf eine Schweinefarm in Yorkshire zurückgezogen, und Maya schaute ihm zu, wie er mit Eimern voller Futter für seine Tiere durch den Matsch stapfte. »Nach ihrer Einschätzung hast du die Grenze noch nicht überschritten«, erklärte er ihr. »Du hast die Wahl,
Maya. Du kannst dich noch immer abwenden und ein normales Leben
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