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Traveler - Roman

Traveler - Roman

Titel: Traveler - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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dennoch hörte sie eine leise Stimme, die ihr in der Dunkelheit etwas zuflüsterte. Und plötzlich wusste sie, dass ihr gleich ein Geheimnis offenbart werden würde. Sie hatte Thorn stets als stark, mutig und selbstbewusst erlebt. Er hatte an dem Nachmittag in London ihr Vertrauen missbraucht, aber es war noch etwas anderes geschehen.
    Der Zug setzte sich in Bewegung und verließ den U-Bahnhof. Als sie zu ihrem Vater aufblickte, sah sie ihn weinen. Damals kam es ihr völlig undenkbar vor, dass Thorn je Schwäche zeigen könnte. Aber jetzt wusste sie, dass sie sich nicht irrte. Eine Träne auf der Wange eines Harlequins war etwas Seltenes, Kostbares. Vergib mir, hatte er das in dem Moment gedacht? Vergib mir, was ich dir angetan habe.

     
    Sie schlug die Augen auf und erkannte Vicki, die ihren Blick auf sie gerichtet hielt. Ein paar Sekunden weilte sie in einer Schattenwelt zwischen Traum und Wachen: Sie sah Thorns Gesicht und gleichzeitig ihre Hand auf der Bettdecke. Atme aus. Das Bild ihres Vater verschwand.
    »Hörst du mich?«, fragte Vicki.
    »Ja. Ich bin wach.«
    »Wie geht’s dir?«
    Maya griff unter die Bettdecke und berührte ihr verletztes Bein. Wenn sie sich abrupt bewegte, spürte sie einen scharfen Schmerz wie von einem Messerstich. Rührte sie sich nicht, war es, als hätte ihr jemand ein glühendes Eisen aufgedrückt. Thorn hatte ihr beigebracht, dass man Schmerzen nicht ignorieren konnte. Man musste sie auf einen einzelnen Punkt reduzieren, der vom übrigen Körper getrennt war.
    Sie schaute sich um und erinnerte sich daran, wie man sie in das Bett gelegt hatte. Sie befanden sich in einem Strandhaus auf Cape Cod, der Halbinsel an der Atlantikküste von Massachusetts. Vicki, Gabriel und Hollis hatten sie hergebracht, nachdem sie mehrere Stunden lang in der Praxis eines Bostoner Arztes behandelt worden war. Der Arzt war ein Glaubensbruder von Vicki und der Besitzer des Sommerhauses am Meer.
    »Willst du eine Schmerztablette?«
    »Keine Tabletten. Wo ist Gabriel?«
    »Er macht einen Strandspaziergang. Keine Sorge, Hollis ist bei ihm.«
    »Wie lange habe ich geschlafen?«
    »Acht oder neun Stunden.«
    »Hol Gabriel und Hollis«, sagte Maya. »Und dann pack unsere Sachen zusammen. Wir müssen zusehen, dass wir wegkommen.«
    »Das ist nicht nötig. Wir sind hier in Sicherheit – zumindest für ein paar Tage. Außer Dr. Lewis weiß niemand, wo wir
uns befinden, und er glaubt an Schuld nicht abbezahlt . Er würde niemals einen Harlequin verraten.«
    »Aber die Tabula suchen nach uns.«
    »Um diese Jahreszeit ist kein Mensch am Strand. Das Haus nebenan steht den Winter über leer. Die meisten Läden im Dorf sind geschlossen, und wir haben nirgendwo eine Überwachungskamera entdeckt.«
    Vicki wirkte sehr selbstsicher, und Maya musste an das furchtsame Mädchen denken, das sie ein paar Wochen zuvor am Flughafen in Los Angeles abgeholt hatte.
    »Ich will mit Gabriel sprechen.«
    »Er kommt bestimmt gleich zurück.«
    »Hilf mir aufstehen, Vicki. Ich will nicht mehr im Bett liegen.«
    Maya stemmte sich mit den Armen hoch. Das Bein tat entsetzlich weh, aber sie schaffte es, sich nichts anmerken zu lassen. Sie legte einen Arm auf Vickis Schulter und ging mit vorsichtigen Schritten aus dem Zimmer und einen Flur entlang.
    Vicki nutzte die Gelegenheit, um ihr zu berichten, was nach der Flucht aus dem Forschungszentrum passiert war. Hollis war mit ihr nach Boston gefahren, und Dr. Richardson hatte im Wagen Mayas Wunde notdürftig versorgt und ihr dadurch das Leben gerettet. Er war jetzt auf dem Weg nach Neufundland, um sich bei einem alten Freund zu verstecken, der dort eine Milchfarm besaß. Hollis hatte den Pick-up in einem ärmlichen Stadtviertel geparkt und den Schlüssel im Zündschloss stecken gelassen. Sie benutzten jetzt einen Lieferwagen, der einem anderen Glaubensbruder Vickis gehörte.
    Im Wohnzimmer des Strandhauses lag ein dicker Berberteppich. Eingerichtet war es mit schlichten Möbeln aus Holz und Leder. Eine gläserne Schiebetür führte auf eine erhöhte Terrasse. Maya überredete Vicki, sie nach draußen zu bringen. Als sie sich in einem Liegestuhl niederließ, spürte sie, wie sehr
es sie angestrengt hatte, ein paar Meter zu gehen. Ihr Gesicht war schweißbedeckt, und sie zitterte am ganzen Körper.
    Vicki holte eine Decke und wickelte Maya fest darin ein. Das Haus stand zwischen Dünen, und Maya roch den Ozean. Eine einsame Seeschwalbe kreiste über den beiden Frauen.
    Holzstufen führten von der
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