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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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Spreiz-, Senk- und Plattfüßen, einer verlässlichen Homilophobie seit je, diffusen Magenbeschwerden der obstruktiven Art unter den Fittichen abdomineller Schmerzen, der Gicht mit der klassischen Prädilektionsstelle Großer Zeh – siehe auch Mertz: Die Gicht. Grundlagen, Klinik und Therapie in der Geschichte – bin ich kerngesund und leide nicht unter gewöhnlichen Phobien oder Idiosynkrasien.
    Animositäten allemal, ein wahrer Bienenkorb, bin aber sonst exemplarisch intakt und nicht infirm.
    Sie sind, sagte mein Berliner Psychologe, eigentlich der geborene Allergiker, denn Sie leiden unter einer wohl zivilisatorisch induzierten Hypersensibilität, die bei Ihnen zu hostilen Reaktionen gegen die Umgebung führt; und ich möge mich vertrauensvoll einer Aversions-Therapie unterziehen.
    Aversionen, sagte ich auf meine ruhige Art, hätte ich genug, ich gäbe ihm gern welche ab.
    Eine hostile Reaktion, sagte der Therapeut, Sie bestätigen meinen Befund.
    Idiot, sagte ich und warf mich in die leptosome Brust.
    Ich solle mir, sagte der Spezialist in einem milden Tonfall, eine ruhige Tätigkeit suchen; dem Stress einer freien Schriftstellertätigkeit sei ich nicht mehr gewachsen. Fahren Sie, fuhr er fort, in den Neuen Osten, suchen Sie sich eine polnische oder tschechische Frau, die Sie nicht versteht, oder wählen Sie ein stilles Hobby, wie zum Beispiel das Ausstopfen von Kleintieren, Vögeln, Muscheln, Schnecken und Insekten oder dergleichen. Meine Liquidation bitte ich umgehend zu begleichen.

 
    4 Curtius führte mich in ein großes Wartezimmer mit vielen kleinen Stühlchen, Polstern, einem mit Maschendraht umwickelten Laufställchen, da und dort leuchteten senffarbene Plastikschalen, gefüllt mit Torfmull oder Sägespänen.
    Es roch stark nach Pipi-Chat und alten Ängsten.
    Curtius, fragte ich, wie ging diese Anakonda-Geschichte aus?
    Tragisch, sagte C.
    Dann wolle ich sie nicht hören; gute Finale seien leider langweilig, schlechte zu gewöhnlich, und die tragischen griffen momentan meine Psyche an.
    Ich müsse mit allen Sinnen, die mir noch zur Verfügung ständen, die Atmosphäre dieses Ortes aufnehmen, sagte C., und ich möge doch auf einem der Montessori-Stühlchen Platz nehmen und sie auf mich einwirken lassen.
    Ich tat es, und sie taten es.
    An der gegenüberliegenden Wand bauchte in Augenhöhe ein Bücherbrett, darunter hing eine Reihe gerahmter Photographien bärtiger Männer.
    Geistesheroen vergangener Zeiten, sagte C. wehmütig.
    Nietzsche starrte links vom Betrachter über seinem gewaltigen, immer gesträubten Schnurrbart in sein persönliches Nichts mit einem so innigen Ausdruck, als gedächte er seiner Nussschinkli-Diät in Sils-Maria. Die anderen Gespenster waren mir fremd. Du wirst dich, sagte Curtius, nach dem Zweck dieser Galerie an diesem Platz fragen und mit Recht. Alles in diesem Raum atmet Sinn und Bedeutung.
    Oha, verstehe, sagte ich verständnislos.
    Ich habe festgestellt, sagte C. feierlich, nach langen Studien an Tier und Mensch, dass der Anblick bärtiger Geistesgrößen auf Mensch und Tier elementar tonisierend wirkt. Ich hatte mal eine entzückende Patientin – der Busen! Nicht übermäßig groß, aber die Form, Pardon, die unter dem Blutdurst ihres Frettchens litt, Otto – ein Männchen, beneidenswert.
    C. hustete erschüttert in sein großes Taschentuch.

 
    5 Ich hatte den vernünftigen Einfall zu fragen, mit welchen Kunden ich so zu rechnen hätte.
    Das sei von Tag zu Tag verschieden. Mal so oder anders, erwiderte Curtius ebenso vernünftig. Meist kämen depressiv verstimmte Hamster, psychisch infirme Meerschweinchen, Hunde mit einer gewissermaßen seelischen Dysplasie, Frettchen in vegetativer Fehlsteuerung, verursacht durch Blutmangel, auch Katzen in psychotischen Erregungszuständen; in jedem Fall massenhaft viele endo- und exogene Psychosen. Eine reichhaltige Symptomatologie böten die Vögel inklusive ihrer Besitzer und Eigentümer, Herrchen oder Frauchen – man müsse bei diesen Zuordnungen sehr wohl differenzieren –, Amphibien, aber auch Schlangen und Insekten seien nicht uninteressant samt ihren Schäden.
    Wie, fragte ich, löste sich der Anakonda-Fall, damals?
    Eine Zeit lang, sagte C., getrennte Schlafzimmer, aber dann, nach einer Periode des Wachstums – jeden Tag ein Kaninchen – suchte Isolde wieder menschliche Wärme, denn Schlangen frieren leicht. Leider ist mir entfallen, wie die Geschichte endete. Ich sah die Liebenden nie wieder.
    Dann war da noch ein
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