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Traumschlange (German Edition)

Traumschlange (German Edition)

Titel: Traumschlange (German Edition)
Autoren: Rainer Wekwerth
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Kleider, hatten die Köpfe hochgereckt und schritten elegant und selbstbewusst aus. Sie waren wunderschön, mit edlen Gesichtern, auf den sich Hochmut spiegelte. Die Männer standen dem mit ihren klassischen Zügen und den schlanken Körpern kaum nach. Es gab also doch so etwas wie Schönheit in diesem Abfallhaufen von einer Großstadt.
    Schließlich war die Fahrt zu Ende. Das Taxi hielt mit kreischenden Bremsen vor dem Hotel Ollofson , einem zierlichen, alten Haus in Bougainvillea . Ein Page im Knabenalter stürzte heran und öffnete Abby die Tür. Anschließend hob er ihr Gepäck aus dem Kofferraum. Obwohl der Junge schmächtig und der Koffer schwer war, schien er keine Mühe mit dem Gewicht zu haben. Abby bezahlte den Fahrer, der ein letztes Mal anzüglich grinste, bevor er davonfuhr.
    Das Hotel schien noch aus der Zeit der ersten amerikanischen Besatzungszeit zu stammen. Eine verblasste Fahne mit den Stars Stripes wehte über dem Eingang.
    Das Kolonialhotel lag auf einem Hügel der Stadt. Ein altes Herrenhaus mit offener Veranda, ein kleiner anmutiger Palast mit Türmchen und spitzen Minaretten, dessen weiße Farbe vom lackierten Tropenholz abblätterte. Wie ein winziger, zerklüfteter Berg ragte es aus einem verwilderten Park, in dem sich Palmen, Bananenstauden und Hibiskusbäume, um den wenigen Platz stritten.
    Abby durchschritt ein verrostetes Tor, das von Lianen überwuchert wurde und betrat das Hotel. Nach der Hitze des Tages war es in der Hotelhalle angenehm kühl. Ihre Augen mussten sich zunächst an das Halbdunkel gewöhnen, bevor sie die Rezeption entdeckte.
    Der Besitzer Richard Morse, mit einer Haut wie Milchkaffee und zu Zöpfchen geflochten Haaren, stellte sich vor und begrüßte sie mit einem herzlichen Lächeln. Er schob ihr ein Klemmbrett mit dem Anmeldeformular über die Empfangstheke. Abby schätzte ihn auf Anfang vierzig. Sein Englisch war perfekt.
    Auf dem Formular standen die Namen der Suiten und Zimmer. Manche von ihnen trugen die Namen berühmter Gäste, als Haiti noch die Reichen und Prominenten anlockte: Marlon Brando, Truman Capote, Paulette Goddard, Graham Greene. Wie die abbröckelnde Farbe an der Fassade kündeten sie von einer vergangenen, einer besseren Zeit.
    Abby trug sich ein und wurde einem Pagen, der ohne weiteres ein Bruder des Jungen sein konnte, der sie zum Empfang gebracht hatte, in den zweiten Stock geführt. Ihr Zimmer war schlicht, aber sauber und gemütlich mit altertümlichen Sesseln, einem flachen Holztisch und einem überdimensionalen Bett mit Baldachin. Zwei Glastüren mit weiß gestrichenen Rahmen führten auf einen winzigen, gemauerten Balkon, von dem man eine herrliche Aussicht auf die Bucht und die Stadt hatte.
    Zufrieden mit ihrer Unterbringung gab Abby dem Pagen einen Dollar Trinkgeld, die einzige Währung, die in Haiti wirklich galt und die den Gourde fast verdrängt hatte. Der Junge schob den Schein breit lächelnd in seine Hosentasche. Als er gegangen war, ließ sich Abby auf das weiche Bett fallen. Kurz darauf war sie eingeschlafen.
     
     
    Die Geräusche der nach der Hitze des Tages erwachenden Stadt, weckten Abby aus ihrem traumlosen Schlaf. Sie ging ins Badezimmer hinüber, wusch ihr Gesicht und kämmte sich. Anschließend zerrieb sie etwas Gel in den Händen und massierte es in ihr Haar ein. Zufrieden mit ihrem Aussehen zog sie einen kurzen beigefarbenen Rock und eine schwarze Bluse an.
    Der Klang von Musik zog von der Stadt zu ihrem Zimmer hinauf. Abby ging auf den Balkon und lehnte sich über die Brüstung. Die Luft war jetzt von angenehmer Frische. Ein leichter Wind brachte den Geruch des Meeres mit sich.
    Port-au-Prince sah im Abendlicht wunderschön aus. Straßenlaternen schufen goldene Kegel, in denen Insekten Tänze aufführten. Selbst der Straßenlärm war nun gedämpft und nur noch wenig Lärm störte die Stille.
    Abbys Gedanken wanderten zu ihrer verstorbenen Schwester. Wie oft mochte Linda die salzig schmeckende Luft eingeatmet und die Ruhe genossen haben? Ohne das Abby es bemerkte, liefen Tränen über ihre Wangen.
    Linda, wo magst du jetzt wohl sein?
    Sie blickte zum Himmel empor, an dem sich die ersten Sterne zeigten. Noch schwach, aber das Funkeln gewann mit jeder Minute an Kraft.
    Während ihre Augen in die Weite des Universums eindrangen, kamen die Bilder der Erinnerung.
     
     
    Vergangenheit
     
    „Lass es sein. Tue es nicht, Abby. Er wird dich beißen.“
    Abby sah durch die Zaunmaschen und beobachtete den großen schwarzen Hund,
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