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Traumschlange (German Edition)

Traumschlange (German Edition)

Titel: Traumschlange (German Edition)
Autoren: Rainer Wekwerth
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zusehends.
    Es wird Zeit, dass ich mich zurückziehe und die Aufgaben eines hungan an meinen ältesten Sohn übergebe, grübelte er.
    Aber innerlich wusste der Alte, Charles war noch nicht so weit. Die zobop , die geheime Gemeinschaft der hungan , der er angehörte, würde seinen Sohn nicht akzeptieren. Noch war Charles nur ein hunsi . Er hatte die Initiationsriten durchlaufen und assistierte ihm, aber er war noch kein Priester. Es mochten noch Jahre vergehen, bis es soweit war.
    Baptiste seufzte laut und lenkte seine Gedanken wieder auf das bevorstehende Ritual. Ein unangenehmer Nieselregen setzte ein und weichte seine Kleidung auf. Der beständige Druck in seiner schmächtigen Brust nahm noch zu, trotzdem beschleunigte er seine Schritte.
    Endlich hatte er es geschafft. Erschöpft ließ er sich neben dem knorrigen Stamm eines Mahaudeme-Baumes zu Boden sinken.
    Hier würde er die Vorbereitungen für die Zeremonie treffen, die seinen fürchterlichen Ruf aufs Neue festigen würden.
    Sein Atem ging keuchend, der Pulsschlag ließ seine geschlossenen Augenlider beben. Trotzdem spürte er die Macht des Baumes, dessen Holz viel Blut enthält .
    Als er wieder zu Kräften gekommen war, kramte er aus einem ausgebleichten Leinensack verschiedene tönerne Schalen und mehrere Beutel mit geruchlosem, unterschiedlich gefärbten Pulvern hervor, die er gleichmäßig auf die flachen Gefäße verteilte. Er spuckte auf die Erde und stellte die Schalen vor sich auf dem Boden, dass sie ein magisches Muster bildeten. Nun wurde es Zeit, die loa anzurufen, aber zuerst musste er noch zu legba , dem Gott, der die Schranken öffnet , sprechen und ihn begrüßen. Seine Stimme begann langsam den uralten Gesang zu flüstern.
     
    Atibô-Legba, l’uvri bayè pu mwê, Agoé!
    Papa-Legba, l’uvri bayè pu mwê
    Pu mwê pasé
    Lò m’a tunê, m’salié loa-yo
    Vodu Legba, luvri bayè pu mwê
    Pu mwê sa râtré
    Lò m’a tunê m’a rémèsyé loa-yo, Abobo.
     
    Atibon-Legba, öffne mir die Schranke, agoé!
    Papa-Legba, öffne mir die Schranke
    Damit ich passiere
    Wenn ich zurückkehre, werde ich die loa grüßen
    Voodoo-Legba, öffne mir die Schranke
    Damit ich eintrete
    Wenn ich zurückkehre, werde ich den loa danken, Abobo.
     
    Das Rascheln der Blätter im Wind verriet ihm, dass legba seinem Anliegen wohl gesonnen war. Nun musste er noch mit den Göttern sprechen, dann konnte er das Gift für die blanc , die weiße Frau mischen.
     
     
    2. Der Brief
     
    12. Juli, London
     
    Abby Summers humpelte mit ihrem Gipsfuß durch die Galerie, bis sie vor einem offenen Schaltkasten stand, der eine Vielzahl von farbigen Drähten beinhaltete. Sie kratzte sich nachdenklich am Ohr. Dieses Ohrenkratzen war fast eine Manie. Immer wenn sie nachdachte, musste sie sich kratzen.
    Habe ich an alles gedacht?,fragte sie sich selbst mit lautloser Stimme. Sie blickte an ihrem Körper hinunter und betrachtete den weißen Gips, der unter ihrer Arbeitshose hervorragte, als wisse er die Antwort. Den Fuß hatte sie sich vor vier Wochen angebrochen, als sie die Lichtinstallation eines Kaufhauses überprüft hatte, ohne sich abzusichern.
    Sie legte den Lichtschalter um. Versteckte Strahler tauchten die Galerie in eine Komposition aus Hell und Dunkel, in eine Symphonie aus Licht und Schatten. Zufrieden lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Wand, verschränkte Arme und Beine und begutachtete ihr Werk.
    Die Kegel der Scheinwerfer erhellten die Skulpturen, ließen sie plastisch, beinahe lebendig erscheinen und den Hintergrund des Raumes verschwinden. Robert Ternham, ihr Auftraggeber und Besitzer der Galerie Ternham Ternham, würde hoffentlich genauso viel Gefallen an den Lichtinstallationen finden wie sie, aber eigentlich hatte sie daran keinen Zweifel.
    Sie hatte schon früher für ihn gearbeitet und er hatte sich stets als umgänglich erwiesen, ließ sich gern von ihren Vorschlägen überzeugen, selbst wenn er ursprünglich andere Vorstellung gehabt hatte.
    Als studierte Innenarchitektin hatte sich Abby selbst nach drei Jahren Selbstständigkeit noch immer nicht daran gewöhnt, dass ihre Pläne von den Kunden abgeändert wurden. Ihre Vorstellung von Innenarchitektur deckte sich nur selten mit den Wünschen der Kundschaft. Da es ihr widerstrebte eine Arbeit abzuliefern, die sich nicht mit ihrer Vorstellung von Design deckte, war die Anzahl ihrer Kunden zusammengeschmolzen. Nun litt sie unter Geldmangel, während die Banken auf Rückzahlung der gewährten Kredite
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