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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle
Autoren: Kurd Laßwitz
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progressistische Richtung lebhaft beifiel. Man hatte daher, wie dies in solchen Fällen üblich ist, Glagli vor den Richterstuhl der „Akademie der Denkenden“ gefordert, um zu entscheiden, ob seine Ideen und Entdeckungen im Interesse des Staates und der Ordnung zu dulden seien. Die Gegner Glaglis stützten sich besonders darauf, daß die neuen Lehren den alten und unumstößlichen Grundgesetzen der „Denkenden“ widersprächen. Sie verlangten daher, daß Glagli entweder seine Lehre widerrufen oder der auf die Irrlehre gesetzten Strafe verfallen solle. Namentlich befanden sie folgende drei Punkte aus der Lehre Glaglis für irrtümlich und verderblich:
    Erstens: Die Welt ist inwendig hohl, mit Luft gefüllt, und ihre Rinde ist nur dreihundert Ellen dick. Dagegen wendeten sie ein: Wäre der Boden, auf welchem sich die „Denkenden“ bewegen, hohl, so würde er schon längst gebrochen sein. Es stehe aber in dem Buche des alten Weltweisen Emso (das ist der saponische Aristoteles): „Die Welt muß voll sein und wird nicht platzen in Ewigkeit.“
    Zweitens hatte Glagli behauptet: Die Welt besteht nur aus zwei Grundelementen, Fett und Alkali, welche die einzigen Stoffe überhaupt sind und seit Ewigkeit existieren; aus ihnen habe sich die Welt auf mechanischem Wege entwickelt, auch könne es niemals etwas anderes geben, als was aus Fett und Alkali zusammengesetzt sei; die Luft sei eine Ausschwitzung dieser Elemente. Hiergegen erklärte man, nicht bloß Fett und Alkali, sondern auch Glycerin und Wasser seien Elemente; dieselben könnten unmöglich von selbst in Kugelgestalt gekommen sein; namentlich aber stehe in der ältesten Urkunde der Denkenden: „Die Welt ist geblasen durch den Mund eines Riesen, welcher heißt Rudipudi.“
    Drittens lehrte Glagli: Die Welt sei nicht die einzige Welt, sondern es gäbe noch unendlich viele Welten, welche alle Hohlkugeln aus Fett und Alkali seien und frei in der Luft schwebten. Auf ihnen wohnten ebenfalls denkende Wesen. Diese These wurde nicht bloß als irrtümlich, sondern als staatsgefährlich bezeichnet, indem man sagte: Gäbe es noch andere Welten, welche wir nicht kennen, so würde sie der „Herr der Denkenden“ nicht beherrschen. Es steht aber im Staatsgrundgesetze: „Wenn da einer sagt, es gäbe etwas, das dem Herrn der Denkenden nicht gehorcht, den soll man in Glycerin sieden, bis er weich wird.“
    In der Versammlung erhob sich Glagli zur Verteidigung; er machte besonders geltend, daß die Lehre, die Welt sei voll, derjenigen widerspräche, daß sie geblasen sei, und er fragte, wo denn der Riese Rudipudi gestanden haben solle, wenn es keine anderen Welten gäbe. Die Akademiker der alten Schule hatten trotz ihrer Gelehrsamkeit einen harten Stand gegen diese Gründe, und Glagli hätte seine beiden ersten Thesen durchgesetzt, wenn nicht die dritte ihn verdächtig gemacht hätte. Aber die politische Anrüchigkeit derselben war zu offenbar, und selbst Glaglis Freunde wagten nicht, für ihn in dieser Hinsicht einzutreten, weil die Behauptung, daß es noch andere Welten gäbe, als eine reichsfeindliche und antinationale betrachtet wurde. Da nun Glagli durchaus nicht widerrufen wollte, so neigte sich die Majorität der Akademie gegen ihn, und schon schleppten seine eifrigsten Gegner Kessel mit Glycerin herbei, um ihn zu sieden, bis er weich sei.
    Als ich all das grundlose Gerede für und wider anhören mußte und doch sicher war, daß ich mich auf einer Seifenblase befand, die mein Söhnchen vor etwa sechs Sekunden aus dem Gartenfenster meiner Wohnung mittels eines Strohhalmes geblasen hatte, und als ich sah, daß es in diesem Streite doppelt falscher Meinungen einem ehrlich nachdenkenden Wesen ans Leben gehen sollte – denn das Weichsieden ist für einen Saponier immerhin lebensgefährlich – so konnte ich mich nicht länger zurückhalten, sondern sprang auf und bat ums Wort.
    „Begehe keinen Unsinn“, flüsterte Onkel Wendel, sich an mich drängend. „Redest dich ins Unglück! Verstehend ja doch nicht! Wirst ja sehen! Sei still!“
    Aber ich ließ mich nicht stören und begann:
    „Meine Herren Denkenden! Gestatten Sie mir einige Bemerkungen, da ich tatsächlich in der Lage bin, über Ursprung und Beschaffenheit Ihrer Welt Auskunft zu geben.“
    Hier entstand ein allgemeines Murren: „Was? Wie? Ihrer Welt? Haben Sie vielleicht eine andere? Hört! Hört! Der Wilde, der Barbar! Er weiß, wie die Welt entstanden ist.“
    „Wie die Welt entstanden ist“, fuhr ich mit
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