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Traumfänger

Traumfänger

Titel: Traumfänger
Autoren: Marlo Morgan
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Wassergewalten zwangen mich dazu, noch mehr Halt bei ihm zu suchen.
    So schnell wie alles gekommen war, war es auch wieder vorbei. Die Welle rollte weiter und wurde dabei zunehmend kleiner. Jetzt spürte ich dicke Regentropfen auf meiner Haut. Ich wandte mein Gesicht himmelwärts und ließ mir von dem Regen den Schlamm von meinen Augen waschen. Ich versuchte mich zu strecken und rutschte dabei etwas nach unten.
    Schließlich wagte ich es, die Augen zu öffnen. Als ich mich umblickte, sah ich, daß meine Beine ungefähr anderthalb Meter über dem Boden baumelten. Ich war in eine der Schluchten halb hinuntergerutscht. Dann hörte ich auch wieder die Stimmen der anderen. Weil ich nicht hochklettern konnte, ließ ich mich einfach auf den Boden fallen. Ich schlug auf den Knien auf und rappelte mich hoch, um durch die Schlucht zu schwanken. Bald erkannte ich, daß die Stimmen aus der entgegengesetzten Richtung kamen, also änderte ich die Richtung.
    Schließlich hatten wir uns alle wiedergefunden.
    Niemand war ernsthaft verletzt worden, aber unsere Schlaffelle waren verschwunden. Verschwunden war auch mein Taillengurt mit seinen wertvollen Lasten.
    Wir standen einfach im Regen und ließen den Schlamm, der an unseren Körpern klebte, zur Mutter Erde zurückkehren. Einer nach dem anderen legten die Stammesleute ihre Kleider ab, bis sie vollkommen nackt dastanden, und wuschen den Schmutz aus den Falten und Säumen der Stoffstücke. Auch ich zog mich aus. Im Unterwasserballett hatte ich mein Stirnband verloren, deshalb fuhr ich jetzt mit den Fingern durch das verfilzte Haargewirr auf meinem Kopf. Ich muß einen witzigen Anblick abgegeben haben, denn die anderen eilten herbei, um mir zu helfen. In den Kleidungsstücken, die sie auf dem Boden ausgebreitet hatten, hatte sich Regenwasser angesammelt. Ich mußte mich hinsetzen, und dann begannen sie, mir das Wasser über den Kopf zu schütten und meine Haarsträhnen mit den Fingern zu entwirren. Als der Regen aufhörte, zogen wir uns wieder an.
    Nachdem unsere Kleidungsstücke endgültig getrocknet waren, mußten wir nur noch die letzten Sandreste aus ihnen bürsten. Die heiße Luft schien die Feuchtigkeit geradezu aufzusaugen, und meine Haut fühlte sich wie eine Leinwand an, die straff über eine Staffelei gespannt war. Jetzt erzählten mir die Stammesmitglieder, daß sie bei diesen extremen Temperaturen am liebsten völlig nackt gingen, aber weil sie befürchteten, daß mir das unangenehm sein könnte, hatten sie sich als Gastgeber meinen Gebräuchen angepaßt.
    Am erstaunlichsten an dieser ganzen Episode war, daß wir nur sehr kurze Zeit wirklich unter Streß gestanden hatten. Wir hatten all unsere Habe verloren, aber schon bald konnten wir wieder lachen. Ich mußte zugeben, daß ich mich nach dieser Springflutabreibung besser fühlte und wahrscheinlich auch besser aussah. Das Gewitter hatte mich mit Gewalt darauf aufmerksam gemacht, wie sehr ich am Leben hing und wie wunderbar es doch war. Diese Berührung mit dem Tod ließ mich auch von meiner Überzeugung Abschied nehmen, daß Freude und Verzweiflung von äußeren Faktoren abhängig waren. Wir hatten buchstäblich alles bis auf die Fetzen an unseren Körpern verloren. Die kleinen Geschenke, die man mir gemacht hatte und die ich mit nach Amerika nehmen und meinen Enkeln vererben wollte, waren zerstört. Ich hatte die Wahl: Sollte ich meinen Verlust laut beklagen oder ihn einfach akzeptieren? War es denn fair, daß ich für diese Lektion in Besitzlosigkeit meine einzigen Besitztümer hatte hingeben müssen? Die Stammesmitglieder erklärten mir, daß man mir ebensogut hätte erlauben können, die Andenken, die weggeschwemmt worden waren, zu behalten. Aber offensichtlich war die Göttliche Einheit der Ansicht, daß ich noch immer zu sehr an weltlichen Dingen hing und ihnen zuviel Bedeutung zumaß. Sollte ich endgültig gelernt haben, nicht die Dinge selbst, sondern die Erfahrung, mit der sie verbunden waren, zu schätzen?
    An diesem Abend gruben sie ein kleines Loch in die Erde. Dann entzündeten sie darin ein Feuer und legten mehrere Steine hinein, um sie aufzuheizen. Als das Feuer abgebrannt war und nur noch die Steine dalagen, bedeckten sie diese mit feuchten Zweigen, dicken Gemüsewurzeln und schließlich einer Lage trockenem Gras. Dann schlössen sie die Grube mit einer Sandschicht. Wir standen davor und warteten wie Kinder vor einem Ofen mit Plätzchen. Nach ungefähr einer Stunde gruben wir unser Essen wieder aus und
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