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Traumfänger

Traumfänger

Titel: Traumfänger
Autoren: Marlo Morgan
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Zeigefinger in einer kreisförmigen Geste, die wohl »bitte umdrehen« bedeuten sollte. Das Rauchritual wurde hinter meinem Rücken wiederholt. Dann wiesen sie mich an, über das Feuer und durch den Rauch zu steigen. Schließlich sagte man mir, ich sei jetzt gereinigt und dürfe die Wellblechhütte betreten. Während der bronzefarbene Mann mich zum Eingang geleitete, sah ich, wie die Frau mit dem Band im Haar meinen Kleiderhaufen nahm und ihn über die Flammen hielt. Sie sah mich an, lächelte, und während sich unsere Blicke trafen, ließ sie die Schätze in ihren Händen los. Alles, was ich besaß, wurde ein Opfer der Flammen! Dann bedeutete sie mir, nochmals über das Feuer und durch den Rauch zu steigen.
    Einen Moment lang war ich wie gelähmt; ich atmete tief durch. Ich weiß nicht, warum ich nicht laut protestierte und schnell zum Feuer lief, um meine Sachen zu retten. Ich blieb einfach stehen. Der Gesichtsausdruck der Frau verriet, daß sie nicht böswillig handelte. Es war eher so, als würde sie einem Fremden eine ganz besondere Geste der Gastfreundschaft erweisen.
    »Sie weiß einfach nicht, was sie tut«, dachte ich. »Sie hat sicher noch nie etwas von Kreditkarten gehört.«
    Ich war froh, daß ich mein Flugticket im Hotel gelassen hatte. Dort hatte ich auch noch etwas zum Anziehen, und wenn es soweit war, würde ich es schon irgendwie schaffen, in diesem Gewand durch die Hotellobby zu schreiten. »Hey, Mario«, dachte ich, »du bist doch ein flexibler Mensch. Wegen so etwas braucht man sich doch kein Magengeschwür zuzulegen.« Aber immerhin nahm ich mir vor, später einen meiner Ringe aus der Asche zu retten. Bis wir mit dem Jeep in die Stadt zurückfahren würden, wäre das Feuer sicher ausgegangen und abgekühlt. Doch es sollte anders kommen.
    Nur im nachhinein kann ich verstehen, welchen Symbolgehalt es hatte, als ich mich von meinem wertvollen und, wie ich dachte, völlig unverzichtbaren Schmuck trennte. Ich sollte noch lernen, daß Zeit für diese Menschen wirklich überhaupt nichts mit den Stunden auf meiner golddiamantenen Armbanduhr zu tun hatte, die jetzt für immer der Erde übergeben worden war. Erst viel später würde ich verstehen, daß diese Loslösung von bestimmten Dingen und Überzeugungen mir vorbestimmt und bereits ein erster, unverzichtbarer Schritt in meiner menschlichen Entwicklung zum Sein war.

2 •   Die Würfel fallen
    Wir traten über die offene Seite der Hütte ein. Sie bestand nämlich nur aus drei Wänden, und Fenster oder Türen waren deshalb unnötig. Dieses Gebäude war einzig zu dem Zweck errichtet worden, Schatten zu spenden, vielleicht auch als Unterstand für Schafe.
    In der Hütte war es noch heißer als draußen, denn in einem Steinkreis brannte ein Feuer. Es fehlte jedes Anzeichen dafür, daß sie für menschliche Bedürfnisse ausgerüstet war: Es gab keine Stühle, keinen Fußbodenbelag, keinen Ventilator; und es gab keinen Strom. Es waren einfach ein paar Wellblechplatten, die notdürftig von ein paar alten, verrottenden Holzlatten zusammengehalten wurden.
    Meine Augen stellten sich schnell von dem gleißenden Licht der letzten vier Stunden auf die durch Schatten und Rauch dunklere Umgebung um. In der Hütte traf ich auf eine Gruppe erwachsener Aborigines, die im Sand saßen oder standen. Die Männer trugen einen farbigen, reichverzierten Kopfschmuck und um ihre Oberarme und Fußgelenke Federn. Sie waren mit derselben Art Lendenschurz wie mein Fahrer bekleidet. Die Gesichter der Männer waren, mit Ausnahme meines Fahrers, mit Mustern bemalt, die sich auf ihren Armen und Beinen wiederholten. Sie hatten weiße Farbe benutzt, um Punkte, Streifen und aufwendige Ornamente zu malen. Eidechsen schmückten ihre Arme, während auf Rücken und Beinen Schlangen, Känguruhs und Vögel zu sehen waren.
    Die Frauen waren nicht so prächtig geschmückt. Sie schienen so groß wie ich zu sein - ungefähr 1,65 bis 1,70 Meter. Die meisten von ihnen waren älter, hatten aber trotzdem noch eine glatte, milchschokoladenfarbene Haut, die ihnen ein gesundes Aussehen verlieh.
    Ich sah keine einzige, die ihre Haare lang trug; fast alle hatten kurzgeschorene Locken. Diejenigen, die längere Haare zu haben schienen, hatten ein schmales Band mehrmals über ihrem Kopf gekreuzt, das die Haare fest zusammenhielt. Bei einer sehr alten, weißhaarigen Dame in der Nähe des Eingangs rankte sich ein handgemalter Blumenkranz um Hals und Fußgelenke.
    Hier war eindeutig ein Künstler am Werk
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