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Trapez

Trapez

Titel: Trapez
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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verlagerten automatisch ihr Gewicht, um es aufzufangen. »Bleib hier, Tom. Mach Platz und kletter nach oben! Wenn wir mit der Nummer fertig sin d, möchte ich was ausprobieren. Ich komm schon, Angelo.«
    »Wird auch Zeit«, rief Angelo zurück. Dann ließ er sich kopfüber in die Fängerposition herab.
    Tommy kletterte zu der hohen Stange über der Plattform hinauf, an die das zweite Trapez geklinkt war, wenn es nicht gebraucht wurde. Hier konnte er sitzen und zuschauen, ohne den Fliegern im Weg zu sein. Es war sein bevorzugter Aussichtspunkt, der Platz den er am liebsten mochte. Erst seit ein paar Monaten durfte er hier oben sitzen, wenn die Santellis probten. Er machte sich nicht viel aus dem herrlichen Ausblick. Was ihm viel mehr bedeutete war der Beweis, dass sie ihm hier oben vertrauten: ihm vertrauten, ihnen nicht im Weg zu sein, wenn sie probten, keinen von ihnen in einem entscheidenden Moment abzulenken, keinen von ihnen durch irgendeinen Blödsinn zu gefährden. Eine Zeitlang war das genug, aber jetzt konnte er über etwas Neues nachdenken.
    Wir könnten dich ab und zu einspringen lassen …
    Aber la ss dir bloß Zeit.
    Er fragte sich, wie oft Mario das dieses Jahr schon zu ihm gesagt hatte.
    Die Flying Santellis waren im selben Jahr zum Zirkus Lambeth gekommen, Mitte Juni 1944. Als er Mario zu Angelo hinschwingen sah, erinnerte er sich an das erste Mal , als er sie beobachtet hatte, vor einigen Monaten. Sie waren in der Nacht angekommen, hatten am frühen Morgen ihr Trapez aufgebaut und waren hinaufgeklettert, um es zu testen.
    Sie waren gut. Da er mit dem Zirkus aufgewachsen war, kannte Tommy den Unterschied zwischen guten, durchschnittlichen und unfähigen Artisten, und die Santellis waren gut. So gut, dass er sich ein wenig wunderte, was sie in einem Zirkus von der Größe Lambeth’ zu suchen hatten.
    Tommy hatte sofort gemerkt, wie gut sie waren. Die präzise Gewandtheit, mit der der Fänger wartete, um ein Gefühl für den Wind und das richtige Tempo zu bekommen, bevor er sich hinunterließ , um an seinen Knien zu schaukeln, den Schwung der Stange testete und ihn leicht beschleunigte, indem er seine Schultern wölbte und dann seine Beine um die Seitenseile des Trapezes schlang und zu einer Fortsetzung der Schaukel wurde. Dann griff der erste der Flieger, ein zierlicher, dünner, kleiner alter Mann mit grauem Haar, hinauf zur Flugstange, ergriff sie mit seinen Händen und schwang sich in einem langen, geschmeidigen Bogen hinaus. Am höchsten Punkt des Schwunges hechtete er mit seinem Körper nach oben, drehte sich in einem doppelten, mühelos aussehenden Rückwärtssalto und streckte sich sanft wieder aus, die gestreckten Hände im Griff des Fängers.
    Inzwischen hatte der zweite Flieger, ein langbeiniger Jüngling mit Trikot, das zurückschwingende Trapez gefangen und schwang sich hinaus, indem er seinen Körper nach vorn über die Stange warf. Genau dann, als der erste Flieger die Handgelenke des Fängers losließ , ließ der Junge das Trapez los und die zwei Flieger passierten einander in der Luft. Der Junge landete sicher in den Händen des Fängers und der Alte griff das Trapez, das der Junge gerade losgelassen hatte. Die Perfektion des Manövers ließ Tommy den Atem stocken. Er hatte noch nie einen so engen Flugpa ss gesehen, aber der Alte rief, als er federnd auf der Plattform landete: »Unsauber, unsauber! Du lä ss t zu schnell los, Mario, versuch’s noch mal!«
    Sie hatten es noch dreimal gemacht, bevor der alte Mann zufrieden war. Er schnappte sich ein Handtuch, warf es über seine Schulter und setzte sich ans Ende der Plattform, um sich auszuruhen. Der Bann war gebrochen und Tommy hatte sich umgedreht, um wegzugehen, da rief der jüngere Flieger: »Warte, Angelo, gib mir einen schönen, hohe n Schwung. Ich möcht’s noch mal probieren, okay?«
    »Auf einem brandneuen Trapez? Gut, mein Junge, es ist dein Genick«, rief der Fänger.
    Im selben Moment, als Mario die Plattform verließ , wu ss te Tommy, was der jüngere Flieger versuchen wollte: den schwierigen, den legendären, den fast unmöglichen dreifachen Salto. Er machte die zweite Umdrehung, kippte über für die dritte, aber er hatte den Bruchteil einer Sekunde zu spät angefangen. Er drehte sich in der Luft, plumpste ins Netz, federte zweimal zurück und lachte ärgerlich. Er sprang über den Rand des Netzes. Aus einer Entfernung von 15 Metern sah er erwachsen aus. Jetzt sah Tommy, dass Mario nur ein paar Jahre älter als er selber
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