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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen
Autoren: Birgit Lautenbach
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ein paar Fahrradfahrern auswich, die mühsam gegen die Böen anstrampelten, tauchten in seinem Kopf Bilder von früheren Einsätzen am Mühlberg auf. Der letzte musste vier, fünf Jahre zurückliegen. Wegen Hausfriedensbruchs oder der Vollstreckung einer einstweiligen Verfügung oder sonst einer der Schikanen, mit denen sich der Schlesinger-Clan das Leben so schwer wie möglich gemacht hatte.
    Das Haus lag versteckt am Ende einer der ungepflasterten Gassen, die noch kein »Privat«-Schild mit einem »Durchgang verboten!«-Kommando versperrte. Obwohl er wusste, dass er nur im Rückwärtsgang wieder herauskommen würde, bog Pieplow vom Mühlberg in den engen Zufahrtsweg ab. So fiel der Streifenwagen nicht gleich auf, und die Sache ließ sich vielleicht klären, bevor jemand neugierige Fragen stellen konnte.
    »Mütze auf«, ordnete Kästner an. »Hier ist es schon immer ratsam gewesen, einen amtlichen Eindruck zu machen.«
    Pieplow griff wortlos nach seiner Uniformmütze, obwohl er bezweifelte, dass ein an Krücken humpelnder Kästner durch die vorschriftsmäßige Kopfbedeckung an Autorität gewann.
    Das breite Gartentor war ausgehängt und lehnte an der mannshohen Hainbuchenhecke. Tief in den weichen Boden eingegrabene Radspuren führten auf das Grundstück. Vor dem Haus stand ein Bagger mit halb erhobener, wie im Schreck erstarrter Schaufel. Die gespreizten Hände auf den Knien, beugte sich ein Mann in blauer Latzhose über das Ende eines schmalen Grabens zwischen Haus und Sickergrube. Wie auf frischer Tat ertappt fuhr er herum, als Kästner ihn ansprach. Ein gelbes Schild auf dem Latz seiner Arbeitshose stellte ihn als O. Henkel von HT Bau Bergen vor.
    »Na endlich«, maulte er statt einer Begrüßung. »Sie ist mit dem Handy hinters Haus, weil der Empfang da angeblich besser ist. Wollte fragen, wo ihr bleibt.« Nach einem schnellen Blick Richtung Gartenweg schob er nach: »Kurz vorm Überschnappen. Völlig panisch. Als wär der Mörder grad’ erst um die Ecke.«
    »Vielleicht sagen Sie uns erstmal, was passiert ist«, forderte Pieplow ihn auf und ignorierte Henkels abfälliges Grinsen.
    »Keine Ahnung, was passiert ist. Ich weiß nur, dass es aussieht, als hätt’ ich jemand die Füße abgebaggert.« Er griff nach einem Stock, der oben auf dem Aushub lag, und stocherte damit in der Grabenwand dicht vor dem Fundament herum. Er legte zwei elfenbeinfarbene Stäbe frei, die sofort wieder unter der nachrutschenden Erde verschwanden.
    »Und? Was sagen Sie? Das sind doch Menschenknochen! Arme oder Beine oder so.« Pieplow erkannte die Stimme und drehte sich um.
    Es sah nicht so aus, als würde Rieke Voss gleich überschnappen, auch wenn ihre helle weite Leinenhose schwarze Knie hatte, und ihr das Haar in alle Richtungen vom Kopf abstand. Mit mehr Wut als Angst im Blick funkelte sie die Männer an, während sie sich mit einer zusammengefalteten Bauskizze Luft zufächelte. »Haben Sie die anderen auch gesehen?« Ihre Frage klang, als habe der kleine Bagger ein Massengrab freigelegt. »Hier, zum Beispiel. Oder das hier.«
    Es hätten auch hell gewaschene Kiesel sein können, auf die sie zeigte. Eine Handvoll Kiesel und ein paar abgenagte Hühnerknochen. Aber als Pieplow näher herantrat, glaubte er zu wissen, was vor ihnen lag.
    »Die langen sehen aus wie Mittelfußknochen«, sagte er zögernd. »Und die anderen sind vielleicht Zehenglieder.«
    »Woher willst du denn das wissen?« In Kästners Stimme klang hämischer Zweifel.
    Pieplow dachte keine Sekunde daran, ihm von dem Platz ganz links in der ersten Reihe eines Biologieraums zu erzählen. Von dem Skelett, das dort stand und nur selten mit beinernem Klappern bewegt wurde. Drei Jahre lang hatte Daniel Pieplow ihm auf die Füße gestarrt, während der Unterricht an ihm vorbeirauschte.
    Mit einem großen Schritt stieg er über den niedrigen Erdwall hinweg und achtete genau darauf, wohin er trat. Mit dem rechten Fuß suchte er einen festen Halt, bevor er den linken auf die andere Seite des Grabens setzte. Er brauchte nicht lange im dunklen Boden zu tasten, bis er fand, wonach er suchte. Dreißig Zentimeter voneinander entfernt ragten Knochenpaare aus der Erde unter dem Haus. Schienbein und Wadenbein, vermutete Pieplow, innen porös, fast hohl, aber außen glatt und fest, mit splittriger Bruchkante dort, wo der Bagger die Füße abgetrennt hatte.
    »Ruf die Kripo«, rief er Kästner zu und dem Baggerfahrer: »Für Sie ist erstmal Feierabend. Hier darf nichts mehr verändert
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