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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen
Autoren: Birgit Lautenbach
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die Leitung schon wieder tot.
    Aus den Augenwinkeln sah er, dass auch Kästner sich seine Uniformjacke griff, sie vorschriftsmäßig schloss und nach seinen Krücken angelte.
    »Du nicht!«, sagte Pieplow energisch. Er deutete mit einer Kopfbewegung auf Kästners Fuß, der in einer Art halbfertigem Skistiefel steckte.
    »Pah!«, schnaufte Kästner empört. »Bei dir piept’s wohl.«
    Er ließ selten eine Gelegenheit aus, sich über den Namen seines Kollegen oder dessen Herkunft lustig zu machen. Ihn zu verhohnepiepeln, wie er es mit süffisantem Grinsen gern nannte. Pieplow stammte vom Darß und war seinen Eltern aufrichtig dankbar, dass sie nicht einen der anderen alten Darßer Namen an ihn weitergegeben hatten. Zeplien etwa, oder Fretwurst. Oder Bradhering.
    »Du bist krankgeschrieben«, beharrte er.
    »Teildienstfähig«, konterte Kästner.
    »Das heißt Innendienst, das weißt du genau. Mit dem Flunk da bist du ein Einsatzhindernis.« Pieplow gab sich entschlossen, obwohl er wusste, wie wenig das nutzte. Kästners Großeltern waren ostpreußische Bauern gewesen, geboren war er hier auf der Insel, und herausgekommen war dabei ein dickschädeliger Sturkopp, der sich nicht so schnell von einem Vorhaben abbringen ließ. Schon gar nicht von Pieplow.
    Wieder klingelte das Telefon. Pieplow stellte auf Lautsprecher um, damit auch Kästner zuhören konnte. Eine Frau meldete sich so hastig, dass sie den Namen nicht verstanden. Jetzt hielt die Verbindung zwar, und die Frauenstimme hatte sich beruhigt, trotzdem wollte ihnen immer noch nicht recht klar werden, worum es eigentlich ging.
    »Knochen?« – »In einem Garten in Kloster?« – »Beim Ausschachten gefunden?« Pieplow klang ungeduldig.
    Kästner brummte: »Fall für die Müllabfuhr. Um was sollen wir uns denn noch alles kümmern?«
    »So hören Sie doch!« Die Stimme der Frau wurde wieder schrill und drohte zu kippen. »Das sind Menschenknochen! Schienbeine und …«
    »Wenn Sie mir …« Pieplow scheiterte mit dem Versuch, den Wortschwall zu unterbrechen.
    »… Reste von Füßen! Herrgottnochmal, warum gucken Sie es sich nicht wenigstens mal an?« Die Frau atmete heftig. Pieplow befürchtete, sie könnte ohnmächtig werden, bevor er erfuhr, wovon genau die Rede war, also setzte er auf ein polizeilich nüchternes »Wie heißen Sie?«.
    »Was?«
    »Ihren Namen. Nennen Sie mir Ihren Namen und sagen Sie, wo Sie sind, damit wir Sie finden können.«
    »Ach so, ja, natürlich. Voss. Rieke Voss. Mühlberg. Also nicht direkt Mühlberg, aber wenn Sie die Gasse …«
    »Wir sind in fünf Minuten bei Ihnen, Frau Voss.«
    Als Pieplow sich umwandte, war Kästner bereits zur Tür hinaus, um sich einen Vorsprung zu verschaffen, der sein Handicap ausglich. Nach drei Wochen mit Plastikschuh und Krücken hatte er so viel Routine, dass er schon auf dem Beifahrersitz saß, als Pieplow die Tür des Streifenwagens ins Schloss zog.
    »Und wer ist diese Rieke Voss?«, fragte Kästner, während Pieplow das Auto rückwärts aus der Einfahrt manövrierte. »Wohl eine heimliche Flamme, wenn du so genau weißt, wo sie wohnt.«
    Pieplow sagte nichts. Es gab Dinge, die musste man wie Naturgesetze hinnehmen, und dazu gehörten auch Kästners Don-Juan-Allüren. Wenn er nicht gerade selbst die Federn spreizte, entdeckte er prompt einen anderen auf der Balz, über den sich herziehen ließ. Liebend gern würde Kästner auch seinem Polizeiobermeister damit zusetzen, wäre der nicht, wie Kästner gern durchblicken ließ, ein Heimlichtuer und Langweiler. Anders konnte er sich nicht erklären, dass Pieplow bei dem Spitzenangebot an knackigen Frauen, die sich von Mai bis September auf der Insel tummelten, immer noch solo war. Zumal er gar nicht so übel aussah. Groß, blond, schlank, mit einem Frauenversteherblick in den blauen Augen, um den man ihn beneiden konnte.
    »Rieke Voss wohnt im Schlesinger-Haus«, sagte Pieplow, während er den Streifenwagen aus der Rathauseinfahrt aufs Norderende Richtung Kloster lenkte.
    »Das ist nicht dein Ernst.«
    »Wenn ich’s dir sage. Irgendwie haben die sich geeinigt und ihr das Haus überlassen.«
    »Prost Mahlzeit«, stöhnte Kästner. »Ich will gar nicht wissen, wessen Knochen das sind, die da verscharrt wurden.«
    Pieplow konzentrierte sich auf die Straße am Seedeich entlang. Für den vom Herbstwind blank gefegten, mattblauen Himmel hatte er keinen Blick und auch für das Leuchten der Früchte am Sanddorn und an den zerzausten Heckenrosen nicht. Während er
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