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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond
Autoren: Sven Koch
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Hosenbund.
    »… zwei!«
    Alex spürte den Knauf der Walther. Sie stellte die Beine etwas auseinander, um einen sicheren Stand zu haben.
    »… eins!«
    Alex riss die Waffe hoch.
    Gernot wirbelte herum.
    Dann krachten drei Schüsse. Das Echo hallte laut nach. Hülsen tanzten um Alex’ Füße.
    Als der Rauch sich gelegt hatte, zog Gernot Brinkmann die Kapuze herunter, nahm die Sonnenbrille ab und kratzte sich nachdenklich das kunstvoll rasierte Kinnbärtchen. Er hatte drei nass glänzende rote Farbflecken auf Brust und Bauch.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob das im Sinne des Erfinders war«, sagte Mario Kowarsch, der die Rolle des Geiselnehmers übernommen hatte.
    Kowarsch war muskulös, klein und kompakt. Er ließ die zwei schlumpfblauen Waffen in den Taschen seiner Jacke verschwinden. Es waren ebenfalls mit Markierungs-Patronen gefüllte Varianten vom Original. Sie wurden zu Übungen verwendet und waren aus Sicherheitsgründen farbig gekennzeichnet, damit man sie von echten unterscheiden konnte.
    »Wieso?«, fragte Alex und steckte die Trainings-Walther weg.
    Neben Mario stand die Kollegin namens Finja Werner. Sie durfte heute das Opfer des Geiselnehmers darstellen und rieb sich den kreisrunden Abdruck an der Schläfe. Sie murmelte etwas davon, dass Kowarsch ja wohl nicht so fest hätte zudrücken müssen.
    »Mensch«, sagte er zu Alex, »das war eine SEK-Übung und dazu gedacht, das Zusammenspiel der Kräfte zu simulieren!« Er suchte in der Seitentasche seiner Bundeswehrhose ein Funkgerät und sprach hinein: »Sie hat mich erledigt.«
    »Wie, was, wer?«, rauschte es zurück. Es war die Stimme von Schneider.
    »Alex«, funkte Kowarsch zurück. »Ich bin tot. Kannst alles abbrechen.«
    »Nee, ne?«, krächzte Schneider. »Kacke, Reineking tobt, weil sie das Headset abgerissen hat, Mann, Mann.«
    »Super gelaufen«, sagte Kowarsch sarkastisch und steckte das Funkgerät zurück. Aus den Augenwinkeln sah Alex, wie die beiden vom Jugendrotkreuz zu Opfern geschminkten Beamtinnen am Getränkeautomaten standen und sich streckten.
    »Aber …«, stammelte Alex. »Ich meine, aus der Situation heraus habe ich richtig gehandelt, oder?«
    Kowarsch rollte mit den Augen. »Darauf kommt es doch nicht an, wenn man einen koordinierten Einsatz übt. Der ganze Aufwand da draußen, wochenlanges Warten auf den Weihnachtsferienbeginn, Genehmigungen, Straßensperrungen, Hubschrauber – hast du darüber schon mal nachgedacht?«
    Hatte sie darüber nachgedacht? Nein, hatte sie nicht. Sie hatte gehandelt. Wollte man ihr das nun vorwerfen? Schien so. Sie spürte, dass ihre Unterlippe zu beben begann. »Außerdem hast du mich hier reingeholt, das war nicht abgesprochen«, entgegnete Alex.
    »Reineking wird dich in der Luft zerreißen.«
    Alex ballte die Fäuste und sah trotzig zum Flurfenster hinaus. Sie hatte das Richtige getan und würde dafür ungerecht behandelt werden. Wieder einmal. Zwei SEK-Männer in Schwarz baumelten vor dem Glas und seilten sich langsam ab.
    »Reineking«, sagte sie mit brechender Stimme, »kann mich mal!«
    Damit drehte sie sich um und lief die Treppen runter. Sie wollte nichts als raus. Auf der letzten Stufe trat sie ins Leere und knickte mit dem Fuß um. Etwas knackte im Sprunggelenk. Ein scharfer Schmerz schoss durch den Unterschenkel – so, als habe ihr jemand mit einem Hammer auf den Knöchel geschlagen. Auch das noch. Alex hielt sich mit der Linken am Handlauf des Treppengeländers fest, schnaubte »Scheiße« und spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten.

4.
    D er Mann trat von der Polizeiabsperrung zurück und gab sich alle Mühe, dass niemand seine Aufregung bemerkte. Er wandte sich zur Seite, faltete die Hände wie zum Gebet, versteckte das Gesicht dahinter und gab eine Art Stoßseufzer von sich. Keuchte seinen heißen Atem durch das Handschuhleder, der in einer weißen Wolke in der eiskalten Luft verpuffte. Wer ihn sah, mochte annehmen, er hätte sich bloß die Nase geputzt.
    Dann drehte er sich wieder nach vorne und beobachtete die Frau weiter, die vom Gymnasium aus über die Straße ging und dabei ein Bein nachzog. Der Mann war darüber fast ein wenig empört. Sie schien sich verletzt zu haben. Das war nicht gut. Er wollte sie in Topform haben. Das Humpeln beeinträchtigte ihre ansonsten geschmeidigen Bewegungen. Beim Laufen, beim Einkaufen, wenn sie abends nach Hause kam.
    Er hatte sie beobachtet und ihr einen Brief geschickt, den sie leider noch nicht beantwortet hatte. Aber er war
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