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Tote lieben laenger

Tote lieben laenger

Titel: Tote lieben laenger
Autoren: Scott Nicholson
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Karateübungen absolvierte, bewunderte ich sie von der Couch aus, während ich Zigaretten rauchte und mich davor zu fürchten begann, dass sie mich auffordern würde, ihr auf der Matte Gesellschaft zu leisten. Nun war ich tot und sie war irgendwo auf der mythischen "anderen Seite".
    "Lee, falls du mich dort hören kannst, wo immer du auch bist, ich liebe dich", flüsterte ich mir zu.
    Ihr.
    Ich hätte diese Worte öfters sagen sollen, als ich noch die Gelegenheit dazu hatte. Aber, zur Hölle, das war nicht mein Stil. Ich hasste Rührseligkeit und den Valentinstag und Friede sei auf Erden und all den anderen verwirrenden gefühlsbetonten Scheiß. Lee hatte es auch so mit mir ausgehalten. Bis jetzt.
    Im Unterschied zu anderen.
    "Mr. Brumfield, kommen Sie bitte ins Büro", vermeldete eine knisternde Stimme aus einem billigen Lautsprecher. Ich öffnete meine Augen nur sehr zögerlich, weil Lee so verdammt gut aussah in meinem Kopf. Buick-Hirn stand auf und schwankte die Halle hinunter, wobei er eine Spur von Radmuttern und Farbsplittern hinterließ. Um die Ecke schlug eine Tür zu.
    Ein paar weitere Jahre vergingen und waren gar nicht so unangenehm mit einer geträumten Lee als Gesellschaft. Die Uhr an der Wand wurde von einem Krampf geschüttelt, weil der Stundenzeiger sich nach dem fernen Morgen sehnte, während der Minutenzeiger die letzte Nacht zurückhaben wollte. Ich dachte an all die Menschen, die vor mir gestorben waren, und daran, ob ich sie wohl wiedertreffen würde. Dieser Gedanke jagte einen Schauer durch mein kaltes, formloses Fleisch.
    Es gab nämlich jemand, den ich betrogen hatte. Jemand, der mich geliebt hatte, bevor ich feststellen konnte, dass das mehr war als nur ein Wort in einem Song von den Beatles. Das verstand ich damals zwar noch nicht, aber ich genoss die Nebenwirkungen – es war jemand da, der mir am Morgen Kaffee kochte, der mich bemutterte, wenn ich die Grippe hatte, der mit mir ins Bett stieg, ohne dass ich mich in einer miesen Absteige zum Narren machen musste. Wir hatten keinerlei Probleme und auch für eine Million Dollar und einen britischen Bentley hätte ich Diana nicht verletzen wollen. Und dann bestrafte ich sie auf die fürchterlichste Weise, die man sich vorstellen kann.
    Ich heiratete sie.
    Auf der anderen Seite des Saals stöhnte Kotelettgesicht. Ich befürchtete einen Anfall, aber dann stellte sich heraus, dass sie nur versuchte, "Amazing Grace" zu singen. Ich hatte dieses Liedchen immer gemocht, auch wenn ich nie jemanden getroffen hatte, der die zweite Strophe kannte. Ihr bei ihrem unsäglichen Gegrunze zuzuhören war allerdings das exakte Gegenteil von einem religiösen Erlebnis.
    Ich gab mich wieder meinen Träumereien hin. Die allgemein verbreitete Vorstellung vom Jenseits war, dass man sich auf "ein großes, helles Licht" zubewegt, wo dann alle auf einen warten, die man geliebt hat. Ich hatte niemanden in dieser Kategorie, außer Hunde gelangten wirklich in den Himmel, so wie sich das Mark Twain gewünscht hatte. Meine Eltern waren noch am Leben, und meine Großeltern hatte ich nie getroffen, weshalb ich ihnen weder Zu- noch Abneigung entgegenbringen konnte. Sie waren für mich nichts als vergilbte Fotos. Es gab nur eine tote Person, die mir nahe gestanden hatte, und ich glaubte nicht, dass Diana bei Petrus ein gutes Wort für mich einlegen würde.
    Schließlich hatte sie mich dafür verantwortlich gemacht, dass sie im Jenseits gelandet war.
    Das war zumindest dem Abschiedsbrief zu entnehmen, verfasst unmittelbar bevor sie das eine Ende des Gartenschlauchs am Auspuff ihres Autos befestigte und das andere Ende durch das Fenster auf der Fahrerseite führte.
    Während ich wartete, hatte ich einen Gedanken, der zu einer Hoffnung wurde und sich dann zu einem ausgewachsenen brennenden Verlangen steigerte. Lee war ein Engel, daran bestand kein Zweifel. Und wenn es mir gelänge, in den Himmel zu kommen, dann würde ich sie eines Tages wiedertreffen. So ganz hatte ich diese Angelegenheit mit dem Tod zwar noch nicht verstanden, aber wozu war ich ein Detektiv? Ich würde es schon herausfinden.
    Als ich aufgerufen wurde, stand ich auf und fühlte mich luftig vor Entschlossenheit. Meine Eier baumelten locker in meiner Hose, das Kinn hatte ich ein klitzekleines bisschen vorgereckt. Ich ging den Saal entlang und begegnete Buick-Hirn, der gerade zurückkam. Seine Unterlippe stand hervor und formte eine Schnute, auf die jedes pubertierende Mädchen stolz sein würde.
    "Was ist los?"
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