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Tote Hunde beißen nicht: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)

Tote Hunde beißen nicht: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)

Titel: Tote Hunde beißen nicht: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)
Autoren: Dietrich Faber
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auf einen Zug warten zu müssen.
    Charlie scheißt auf den Bahnsteig, und der Himmel über Oberhessen vergießt darüber ein paar Tränen. Ich bereinige den Schaden, während mein Vater aggressiv lautlos vor sich hin pfeifend seit zwanzig Minuten den Fahrplan studiert.
    Meine Mutter erzählt Laurin, der den gereichten Apfelschnitz nicht essen will, Hungersnotgeschichten aus der Nachkriegszeit, und Berlusconi bellt die morgenzwitschernden Vögel an. Dann beginnt es endlich richtig zu regnen, und kurz darauf tuckert unser heißersehnter Nahverkehrszug ein.
    «So, einsteigen bitte», ruft nicht der Schaffner, sondern mein Vater. Ich helfe meiner Mutter, ihre drei Koffer, für jeden Reisetag einen, in das Abteil zu hieven. Laurin hat Charlie an der Leine, Melina Berlusconi.
    Wir fahren zunächst nach Friedberg, steigen dort in den Zug nach Frankfurt um, ehe es dann per ICE weiter nach Berlin geht. So ist der Plan.
    «Sooo, nun erreichen wir Ober-Widdersheim-Häuserhof, fahrplangemäß, will sagen pünktlich», schnarrt mein Vater, nachdem wir gerade einmal vier Minuten unterwegs sind.
    «Ach, Günther», sagt meine Mutter einfach mal so.
    Ob das hier alles so eine gute Idee war? Der Plan, mit den Kindern mal nach Berlin zu reisen, existiert ja schon länger. Und als meine Eltern erzählten, dass ein langjähriger Polizeikollege meines Vaters, der vor einigen Jahren nach Berlin zog, verstorben sei, wuchs in mir die Idee, sie bei Anreise und Beerdigung zu begleiten, zusätzlich Kinder und Hunde einzupacken und noch ein paar Tage dranzuhängen, wenn die Eltern wieder weg sind. Den letzten Teil bereue ich nicht, den ersten schon jetzt ein wenig.
    «Sooo, nun müssten wir gleich in Gettenau-Bingenheim einfahren», höre ich meinen Vater wieder. «Und klar, das ist ja klar, da hamm wers: zwei Minuten Verspätung schon! Kann man als Deutsche Bundesbahn nicht einmal ausnahmsweise hergehen und pünktlich sein?»
    «Die Deutsche Bundesbahn gibt’s schon seit zwanzig Jahren nicht mehr», nuschle ich genervt, mehr für mich als für die Allgemeinheit bestimmt.
    «Sei nicht so frech», sagt meine Mutter.
    In vierzig Minuten halten wir zwischen Nidda und Friedberg an neun Haltestellen, die allesamt von meinem Vater kommentiert werden. Melina tut das einzig Wahre und schaltet sich mit Mini-Kopfhörern und Smartphone ab. Meine Mutter redet trotzdem auf sie ein, und Laurin verfüttert derweil alle für die gesamte Reise kalkulierten Leckerlis an die Hunde.
    Irgendwie schaffen wir es trotzdem, ohne größere Zwischenfälle zweimal umzusteigen, und sitzen nun auf unseren reservierten Plätzen im ICE nach Berlin. Glücklicherweise konnten wir ein Sechser-Abteil für uns ganz alleine in Beschlag nehmen. Denn wir als Gesamtfamilienkunstwerk sind in dieser Zusammensetzung einem Großabteil, also der Allgemeinheit, nicht zuzumuten. Sonst halte
ich
mich von allen Orten fern, an denen der Mensch an sich in vielfacher Ausfertigung auf engem Raum zusammentrifft, in diesem Falle aber muss die Masse vor
uns
geschützt werden. Wir verstauen unser Gepäck in den engen Ablagen und stopfen Jacken, Hundefutter und Wasserflaschen dazwischen.
    «Melinchen, sag mal, hast du eigentlich schon Pläne für die Zukunft?», beginnt meine Mutter völlig unvermittelt ein riskantes Gespräch.
    «Was?» Melina tut alles dafür, um so zu wirken, als habe sie die Frage nicht gehört.
    «Na ja, weißt du denn schon, in welche Richtung es beruflich bei dir gehen soll?»
    Dazu muss man wissen: Melina hat gerade die 10 . Klasse wiederholt und plant nun in der Gesamtschule Schotten einen weiteren Anlauf in Richtung Oberstufe.
    «Ei ja, Abitur», murmelt sie gekonnt undeutlich.
    «Und danach? Hmm? Melina, danach? Weißt du noch gar nicht, wo es hingehen soll? Noch so gar keine Idee?»
    Melina reagiert nicht weiter. Meine Mutter wartet eine Weile, blickt kurz zu ihrem Mann, wischt Kekskrümel von ihrem Schoß und richtet sich schlussendlich an mich: «Hat sie wirklich so gar keine Idee? Wirklich nicht? Ich meine, die jungen Menschen sollten in dieser heutigen Zeit doch schon eine Idee haben, wo es mal hingehen soll, oder? Weiß sie da noch gar nichts? Nein? Noch so gar keine Idee?»
    «Sie wird schon ihren Weg gehen, Mutter, keine Sorge», antworte ich, obwohl ich am liebsten auch einfach nur im Melina-Ton «Ei ja, Abitur» geraunt hätte.
    «Wir hängen schon wieder sechs Minuten», schaltet sich mein Vater wieder ein, tippt auf seine Armbanduhr und schüttelt gleichzeitig
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