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Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)

Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)

Titel: Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)
Autoren: Anna K.
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»Du bist schuld«, sagte er dabei. »Du hast mich dahin gezerrt.« Und dann immer wieder: »Du bist schuld!«
    Wenn Sara das erzählte, musste jeder lachen, weil sie seinen Blick und seine Sprache, halb betrunken und halb wahnsinnig, ziemlich gut nachahmen konnte (gut, ich kannte das Original nicht, aber glaubwürdig klang
es). In Wirklichkeit fand Sara die ganze Sache gar nicht komisch. Der Fahrstuhl, der sich im Central gemütlich durch die Etagen ruckelt, schien viel länger zu brauchen als sonst.
    Katja wurde einmal zweihundert Meter vom Hotel entfernt in ein Auto gezerrt, morgens um fünf, als es noch stockfinster draußen war. Sie schrie, strampelte und konnte entwischen. Seither hatten wir nicht nur Angst im Hotel, sondern auch auf dem Weg dorthin. Wir kamen fortan nur noch in Hosen, nicht mehr in Röcken oder Kleidern, wenn wir Frühschicht hatten. Auf dem Ku’damm waren einfach zu viele seltsame Gestalten unterwegs. Katja kaufte sich ein Auto, einen alten VW Polo. Manchmal holte sie Sara und mich damit zu Hause ab.
    Dass wir Auszubildenden immer enger zusammenrückten, nicht nur im Polo, war nicht verwunderlich: Wer im Hotel arbeitet, muss sich einen neuen Freundes- oder Bekanntenkreis suchen, allein schon wegen der Arbeitszeiten.
    Meine Mutter und meinen Bruder sah ich so selten wie noch nie, und meine Schulfreundinnen lernten Berufe wie Bürokauffrau oder gingen an die Uni. Sie hatten ihre festen Arbeitszeiten und auch die Studenten hatten ihre freien Wochenenden. Ich ging, wenn ich früh anfangen musste, oft um acht ins Bett und hatte dafür nachmittags um drei nichts zu tun.
    Was macht man als Neunzehnjährige mit einem freien Mittwochnachmittag? Gar nichts. Nicht selten blieben wir einfach trotzdem im Hotel, um den anderen zu helfen. Oder wenn man einen zweiten fand, der auch frei
hatte, suchten wir uns einen freien Platz auf der Terrasse, um dort abzuhängen. Ohne es zu merken, war das Hotel zu unserem Leben geworden.
    Ich arbeitete fast jeden Samstag und jeden Sonntag, dafür hatte ich dienstags oder donnerstags frei. Und so hatten auch meine Ausgehzeiten und -tage mit dem Rhythmus außerhalb vom Hotel bald nichts mehr zu tun. Meine Ausgehtage wurden Montag und Mittwoch, und ich lernte die Gastro-Partys kennen – Partys, auf denen so gut wie nur Hotelleute und Leute aus der Gastronomie erschienen, weil an diesen Tagen kein normaler Mensch zum Feiern geht. Es störte mich wenig, dass die Musik auf den Partys eher durchschnittlich war, im Dante am Hackeschen Markt oder im Puro über dem Europacenter, wo man samstags vermutlich niemals freiwillig hingegangen wäre. Bis kurz vor meinem Start im Central war ich mit Lasse zusammen gewesen, einem Techno-DJ, auch wenn Techno nun wirklich nicht meine Welt war. Ich fand damals Britney Spears gar nicht mal so schlecht.
    Manchmal tanzten wir die Nacht durch, Katja und ich. Wir fühlten uns frei und verwegen, und wenn wir morgens über die Straßen liefen, fragte die eine die andere: »Musst du heute arbeiten?« Manchmal gingen wir direkt vom Club zurück ins Hotel.
    An einem dieser Gastro-Party-Abende im Dante traf ich Marc, den ich bereits vom Sehen aus der Berufsschule kannte. Marc lernte in einem der ganz großen Fünf-Sterne-Häuser in Mitte. Sein Ziel war es, irgendwann einmal Hotelmanager zu werden. Er fand seine Ausbildung großartig und auch die Rückenschmerzen und die langen
Tage waren ihm völlig gleichgültig. Ich beneidete ihn, und vielleicht gefiel er mir auch deshalb so gut, weil er seinen Job so gar nicht infrage stellte. Ein richtiges Paar wurden wir nicht, Spaß hatten wir jede Menge. Es wurde ein schöner Spätsommer mit Marc.
    Ich glaube, ich habe mit Marc nie über meine Ängste im Hotel gesprochen.
    Ich weinte oft schon, wenn ich mit dem Bus zum Hotel fuhr. Ich wusste: Es würde wieder ein heißer Tag werden, die Sonne würde scheinen und sie würden wieder alle da sein: die Eisesser, die Kuchenesser, die, die lieber Pute statt Schwein auf dem Sandwich haben wollten, die, die ihre Schorle gerne mit Johannisbeersaft und nicht mit Traube wollten, das hätte ich mir doch mal merken können, und die, die nicht mehr zahlen wollten, weil ich sie zwanzig Minuten lang warten lassen musste, da ich keinen sauberen Teelöffel mehr finden konnte für den Pfefferminztee an Tisch zwölf.
    Ich weinte die ganze Busfahrt leise vor mich hin, aus dem Fenster schauend, sodass es niemand sehen konnte, und dann hatte ich noch zweihundert Meter, um mich zu
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