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Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)

Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)

Titel: Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)
Autoren: Anna K.
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in der Klasse schon ausgezogen zu sein, wurde meine Wohnung doch schnell zum Treffpunkt meiner guten und weniger guten Freunde. Sie alle wussten es zu schätzen, endlich einen Ort zu haben, an dem sie trinken, rauchen und kiffen durften, so viel sie wollten, und an dem sie küssen durften, wen sie wollten. Ich habe mich manchmal gefragt, ob sie in meiner Wohnung auch ohne mich genauso gut weitergefeiert hätten und was wohl passiert wäre, wenn ich mich lautlos davongeschlichen hätte. Wie lange hätte es gedauert, bis mich jemand vermisst? Vielleicht hätte irgendwer gefragt: »Wo ist eigentlich Anna?«, aber ganz sicher, ohne sich lange mit der Antwort aufzuhalten.
    Schließlich wollte ich Immobilienkauffrau werden. Ich stellte es mir schön vor, Leuten Wohnungen zu zeigen und mich ein bisschen mit ihnen zu freuen, wenn sie sie dann bekamen. Ich schrieb mehr als fünfzig Bewerbungen, unterschrieb in meiner schönsten Mädchenschrift und bekam nur Absagen.
    Weil ich ja nicht für immer Sonnenstudio-Tussi bleiben konnte, ging ich an den Ort, an den ich bis dahin keinen Gedanken verschwendet hatte, den uns aber schon unsere Lehrer wärmstens empfohlen hatten: ins BIZ, das Berufsinformationszentrum des Arbeitsamtes. Das BIZ war damals noch jene Institution, in der mindestens die Hälfte meines Abi-Jahrgangs herausfand, welcher Beruf oder welches Studium denn ungefähr passen könnte. Als ich Abi machte, gab es noch nicht in jeder Wohnung Internet und wir wurden noch nicht mit dem Zwang groß, schon mit zwölf wissen zu müssen, wohin die Reise beruflich
einmal gehen sollte. Ich tippte also ein paar Antworten zu meinen Vorlieben und meiner Persönlichkeit in den BIZ-Computer und unterhielt mich danach fünf Minuten mit einer Frau, die nicht mich, sondern die Mappen anschaute, die verstreut auf ihrem Schreibtisch lagen. Danach war das Ergebnis da: Ich solle doch Hotelfachfrau werden. Warum, weiß ich bis heute nicht.
    Na ja, dachte ich, hat ja auch was mit großen Häusern zu tun. Ich schrieb eine einzige Bewerbung und wurde sofort zum Gespräch eingeladen. Erstaunlicherweise ging es weniger darum, was ich konnte oder schon gemacht hatte – gut, was hat man als Abiturientin auch schon gemacht? –, sondern nur darum, in welchem der drei Hotels des Besitzers ich anfangen wollte, und wann.
    Das ist wohl gemeint, wenn ältere Leute von Schicksal reden. Außerdem dachte ich: Du bewirbst dich einfach mindestens ein Jahr lang weiter als Immobilienkauffrau, es muss ja irgendwann klappen. Ich war in die Hotellerie gerutscht und ich hatte vor, auch schnell wieder hinauszurutschen. Ich entschied mich für das Hotel Central, ein Drei-Sterne-Haus in der Nähe des Ku’damms, weil ich die Lage praktisch fand.
    Das Frühstückmachen lernte ich schnell: Saftspender auffüllen, Brot auftischen, Müsli rausräumen, die warmen Sachen dazu, die Platten mit Käse und Wurst, die die Spätschicht in den Kühlraum gestellt hat, Joghurt und das Obst. Speck und Würstchen braten, das Rührei aus Trockeneimasse und Wasser zubereiten, sodass es am Ende wie ein monolithischer Block Bratmasse im Chafing Dish liegt und von den Gästen verschlungen wird. Eine
Stunde Vorbereitungszeit hatte ich, von halb sechs bis halb sieben, dann kamen die Frühaufsteher.
    Um die Arbeit interessanter zu gestalten, stellte ich soziologische Untersuchungen an: »Paarkommunikation im Frühstücksbereich eines deutschen Drei-Sterne-Hotels« nannte ich die Doktorarbeit, an der ich in Gedanken schrieb. Ich unterschied die Schweiger in zwei Gruppen: die, die schweigen, weil sie sich nichts mehr zu sagen haben, und die, die sich harmonisch anschwiegen. Paare, die morgens ausgelassen miteinander redeten und lachten, waren selten. Nur bei den unter Dreißigjährigen waren die Schweiger in der Minderheit. Zwischen vierzig und Mitte fünfzig schien mir das unglückliche Schweigen seinen Höhepunkt zu haben. Später, so ab sechzig, nimmt das zufriedene Schweigen zu.
    In Gedanken gab ich Prognosen ab: Wer wird noch wie lange ein Paar sein? Pluspunkte in diesem Spiel gab es, wenn er sich erkundigte, ob sie ein Rührei wolle oder wenn sie ihm ungefragt Kaffee nachschenkte. Minuspunkte gab es, wenn er aufstand, während sie noch an ihrem Brötchen kaute. Ich behaupte, Paare könnten sich den Weg zum Therapeuten sparen, sie müssten nur einen Hotelangestellten fragen: Haben wir noch eine Chance oder ist eh schon alles zu spät? Wir könnten darauf eine Antwort geben.
    Aber statt zu
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