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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht
Autoren: Oliver G Wachlin
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konvertierbaren Kapitals. Vermutlich hat sich Marx in dieser Nacht im Grabe rumgedreht.
    Der Kater ließ nicht lange auf sich warten. Denn mit der D-Mark kam der Zusammenbruch der DDR -Industrie, weil niemand für olle Ostprodukte echtes Geld ausgeben wollte. Statt Trabi fuhr man jetzt einen Westwagen aus zweiter, dritter oder vierter Hand und brachte sich so um Lohn und Brot. Hunderttausende verloren ihre Jobs. Die Landflucht aus dem Osten, die man mit der Währungsunion eigentlich stoppen wollte, setzte wieder ein. Denn wer zu Hause keine Arbeit fand, der suchte sie im Westen.
    Dann kamen die Insolvenzverwalter, um den Rest der volkseigenen Wirtschaft abzuwickeln, und schließlich die Missionare, die den überforderten Organen des einstigen sozialistischen Musterstaates im Eiltempo die reine Lehre der freiheitlich demokratischen Grundordnung beibringen wollten. Aus allen Teilen der Bundesrepublik reisten sie an. Es galt, den Osten Deutschlands vor Chaos und Anarchie zu bewahren und auf die Wiedervereinigung vorzubereiten.
    Harald Hünerbein war völlig aus dem Häuschen. »Überleg doch mal«, rief der Dicke euphorisch, »da drüben kann man noch echt was bewegen, endlich mal gestalterisch tätig werden, das ist Aufbauarbeit für die Zukunft!«
    Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Ich bin Ermittler, kein Lehrer. Ein Hauptkommissar in den besten Jahren und noch lange nicht reif für den Innendienst. Mein Job ist die Verbrechensaufklärung und nicht, Theoriezampano für abgehalfterte Volkspolizisten zu spielen.
    »Ermitteln kannste auch im Osten.« Hünerbein ließ nicht locker. »Praktische Arbeit am Fall nennt man das. Da können wir den Zonis mal zeigen, was wir drauf haben.« Er rieb seine Wurstfinger aneinander und setzte mit feister Miene hinzu: »Außerdem gibt’s ‘ne fette Dschungelzulage. Willste die dir tatsächlich entgehen lassen?«
    Da hatte der Kollege in der Tat einen wunden Punkt getroffen. Wir waren seit Jahren Partner, und natürlich war ihm nicht verborgen geblieben, dass ich unter notorischem Geldmangel litt. Vor allem deshalb, weil ich mich seit knapp elf Monaten um meine Tochter Melanie kümmern musste. Ein sechzehnjähriges Gör, von dem ich bis zum Mauerfall nichts wusste. Plötzlich war sie da, das Ergebnis einer längst vergessenen Jugendliebe, und weigerte sich strikt, in den Osten zurückzukehren. Stattdessen erinnerte sie mich an meine Vaterpflichten und zog kurzerhand bei mir ein. Seitdem komme ich mit meinem Geld kaum über die Runden.
    »Dschungelzulage?«, fragte ich. So wird der Aufschlag auf den Sold genannt, den alle Beamten bekommen, die im Osten Aufbauarbeit leisten. »Lohnt sich das?«
    Hünerbein tippte sich auf die Wange. »Fass ich Sachen an, die sich nicht lohnen?« Er schob seine drei Zentner Lebendgewicht zum Fenster und deutete auf den Ostberliner Fernsehturm. »Wir haben doch einen klaren strategischen Vorteil. Der Dschungel beginnt quasi vor der Tür. Und trotzdem kriegen wir hier alles, was auch die westdeutschen Kollegen bekommen. Reisekostenpauschale, Umzugsgeld, hundertprozentiger Mietkostenzuschuss …«
    Offenbar träumte der mehrfache Vater und treue Ehegatte Harald Hünerbein von einer geheimen Zweitwohnung im Plattenbau. Vermutlich, um mal Urlaub von der Familie zu machen. Und natürlich in Begleitung netter ostdeutscher Mädels.
    »Du, die sind auch anspruchsvoller geworden«, winkte Hünerbein ab, als hätte er meine Gedanken erraten. »Jetzt, mit unserer guten Westmark, wollen sie alles sofort. Schicke Autos, neue Kleider, tolle Reisen. Versuch denen mal klarzumachen, dass wir vierzig Jahre gebraucht haben für unseren Wohlstand. So was geht nicht von heute auf morgen. Begreifen die aber nicht.«
    Ich verstand. Hünerbein hatte seine Zweitwohnung schon und nur Enttäuschungen erlebt.
    »Nichts los im Plattenbau?«
    »Vergiss den Plattenbau.« Hünerbein nestelte eine Schachtel Roth-Händle hervor und bot mir eine an. »Ich denke da mehr ans Berliner Umland. Kennen wir ja gar nicht mehr. Dabei soll es da …« Er gab mir Feuer und steckte sich selbst eine an. »… wunderschön sein. Seen, Wälder, Wiesen, unberührte Natur. Da ‘n Häuschen, so als Rückzugsort fürs Wochenende.« Er seufzte. »Das war schon immer mein Traum. Und Häuser kriegste da für ‘n Appel und ‘n Ei. Noch! Man muss natürlich rechtzeitig zuschlagen und ein bisschen handwerklich begabt sein.« Er sah mich an und hielt mir die Hand hin. »Also: Bist du jetzt dabei, oder
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