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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht
Autoren: Oliver G Wachlin
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letzten Mal und endgültig auf den Grund des Meeres. Der Tote wurde langsam zu Modder und war dann irgendwann ganz weg.
    Das Ganze funktionierte nur auf der Basis eines geschlossenen Systems. Davon konnte man bei einem einzelnen Kopf natürlich nicht sprechen.
    Die beiden Kollegen von der Spurensicherung hatten endlich Erfolg und balancierten den Schädel zwischen zwei Stangen von der Wasseroberfläche in ein Auffangnetz und kippten ihn von dort kullernd auf eine schwarze Plastikplane, die man vorausschauend an der Kaimauer ausgelegt hatte.
    Neben Lotte, der Fischbrötchenverkäuferin, versammelten sich die ersten neugierigen Schaulustigen, die an diesem Feiertag sehr früh den Weg zum Hafen gesucht und gefunden hatten. Nun standen sie auf ihrem morgendlichen Spaziergang im angemessenen Abstand um einen Leichenkopf herum.
    Ich war zwar schon seit fünf Jahren bei der Polizei, davon zwei Jahre als Kriminalassistent bei der Kripo Wismar, als sogar ein Serienmörder monatelang in der Altstadt sein Unwesen getrieben hatte, aber so ein Totenschädel war auch für mich ein gruseliger Anblick.
    »Kennt den jemand?«, fragte ich in die Runde. Die meisten glotzten entsetzt und schüttelten nur ihren eigenen, ohne den Blick von dem aufgedunsenen, zerfledderten Kopf abzuwenden.
    Hansen kniete jetzt auf der Plane und begutachtete den Schädel genauer. Dazu benutzte der Kommissar einen Bleistift, mit dem er hier und da in den Öffnungen des Kopfes herumpulte.
    »Da haben wir ja das Corpus Delicti.«
    Hansen zog mit dem Stift ein Stück weißen Kunststoff aus dem offenen Hals. Keine Ahnung, ob die Gerichtsmediziner im Labor das gern gesehen hätten, aber eines musste man ihm lassen, den richtigen Riecher für das Lösen rätselhafter Phänomene hatte Hansen wie kein Zweiter.
    Die Plastiktüte (denn als solches erwies sich der Kunststoff) verstopfte den Zugang in die Kopfhöhle, sodass weder Wasser eindringen noch die Verwesungsgase aus dem Hirnbereich austreten konnten, vermutete ich. Das entstandene Vakuum zwischen Schädeldecke und künstlichem Pfropfen füllte sich mit fauligem Gas und ließ den Kopf auf der Meeresoberfläche tanzen.
    »Sieht fast aus wie ‘ne Qualle.«
    Das war einmal mehr Lotte, die nahm nie ein Blatt vor den Mund, sie band sich gerade eine alte Küchenschürze um. Fast jeder kannte und mochte die Nannsen vor allem wegen ihrer exquisiten Fischbrötchen, die waren nicht nur hier unten am Pier des Alten Hafens konkurrenzlos, die hatten mittlerweile einen Ruf weit über die Grenzen der Hansestadt hinaus.
    »Wenn du nur lang genug auf die See schaust«, fabulierte Lotte (im Original natürlich auf Plattdeutsch) mit schlauer Zunge zwischen ihrer großen Zahnlücke hindurch, »dann schwimmen irgendwann die Leichen deiner Feinde an dir vorbei.«
    Ich schrieb das auf, verstand es aber nur ungefähr. Auch Hansen guckte, als sei das Chinesisch gewesen.
    »Was meinst du damit, Lotte?«
    »Altes Mecklenburger Sprichwort!«
    Sie grinste und kratzte sich am Kopf.
    »Kennst du vielleicht den … den Namen zum Kopf?«
    »Nö, kenn ich nicht. Aber die Piratenbinde spricht Bände.«
    »Die was?«
    »Na, die olle schwatte Klüsenklappe!«
    »Wieso?«, entfuhr es mir.
    »Na, das ist einer von den Störtebeker Söhnen!«
    »Die wer?«
    Hansen wurde neugierig, er kletterte mit Lotte und mir im Schlepptau zurück auf ihren Kahn und wies mich an, alles Weitere aufs Genaueste zu protokollieren. Hätte der Chef gar nicht so betonen müssen, das war selbstredend.
    Lotte Nannsen begann mit einem kleinen scharfen Messer flink und routiniert ihren Frischfisch zu schuppen und auszunehmen.
    Sie hätte schon öfter und meistens weiter unten am Kai eine über die Monate wachsende Gruppe von jungen Männern beobachtet, die allein dadurch auffielen, dass sie ausstaffiert seien wie die Seeräuber.
    »Ein gutes Dutzend sind das«, ergänzte sie mit dem Küchenmesser in der Luft nachzählend.
    »Und das ist kein Seemannsgarn?«, fragte Hansen ungläubig.
    »Wo denkst du hin, Olaf. Hab ich das nötig?«
    Olaf Hansen war einer von Lottes Stammkunden, regelmäßig speiste er hier zu Mittag, meist Pfeffermakrele im Brötchen mit Bier, oder nahm sich fangfrischen Fisch zum Abendbrot mit nach Hause. Daher kannten sich beide schon gut und hatten in den letzten Monaten ein herzliches und vertrautes Verhältnis zueinander aufgebaut.
    »Und was machen die, die See … die … Seeräuber?«
    »Na, nichts Genaues weiß man nicht. Nur dass sie so Tücher um
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