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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht
Autoren: Oliver G Wachlin
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ellenlangen Becher Wein dem anderen über deren Schädel geleert und hernach gezogen habe.
    Die folgenschwere Schlägerei auf der offenen Empore obiger Brauereistube sei von einem halben Dutzend städtischer Büttel mit Mühe unterbunden worden. Der angeschuldigte Raufbruder Gherardo Torfmann sei festgenommen und ihm seien die Bürgerrechte aberkannt worden, und der beklagte Unruhestifter Nicolao Stortebeker sei in dem handgreiflichen Zanke nicht dingfest gemacht worden und über das Brauereidach geflohen. Das Brauhaus sei wegen des Wiederholungsfalles auf Anweisung des Stadtkämmerers augenblicklich geschlossen.
    Der Büttel habe die Meldung bestätigt, der flüchtige Freibeuter sei bärenstark und unverwundbar. Selbst ein kräftiger Degenhieb mitten auf seine Brust habe zu keiner Abkühlung seines Gemütes geführt. Im Gegenteil: Als ob Stortebeker mit dem Höllenfürsten paktiere, habe er mit dem eigenen Dolche sein zugehöriges Wams verzieret. Dies sei allemal dem übermäßigen Hopfengenuss geschuldet.
    Eine irdische Erklärung sei das bei der Schlacht vor Marstal vom Seeräuber erbeutete Artefakt des heiligen Vicentius, dessen Reliquie Stortebekers Torso vortrefflich gegen Pfeile und Klingen schützen helfe. Nach dem heutigen Vorfall erlaube sich der Stadtrat, den flüchtigen Raufbold ein weiteres Mal zum Zwecke der Vorführung bei Scharfrichter Petersen ins Fahndungsbuch einzutragen.
    Noch am selbigen Abend hätten zwei Fischer bekundet, den Stortebeker am Hafen zu Wissemara gesehen zu haben, wie er vier Fässer Heringe und über fünfhundert Brotlaibe ohne schriftliche Bevollmächtigung an sogenannte bedürftige Bürger leibhaftig verteilt habe. Ein hinzugeeilter besoldeter Nachtwächter habe ihn, erhaben über jeden Zweifel, als den Beklagten aus dem Brauereistreit ermitteln können.
    Merkmale der Wiedererkennung seien mehrerlei: das wirre lange Haar, der wilde dunkle Bart, das dick wattierte Wams, hohe lederne Stulpenstiefel. Und an seinem Hosenbunde habe unerlaubt ein roter Lappen gehangen, der joli rouge des fernen Franzmanns. Der Posten habe ihn angerufen und Zeichen gesetzt, dass fremde Flagge dicht vor dem Stadttor Gesetzesbruch bedeuten könnte.
    Der Unhold habe darauf nur eine Handvoll Heringe genommen und sie dem Wachmann, der allein der Einhaltung städtischer Verordnung nachgekommen sei, mit dem bezeugten Schlachtruf »Aller Welt Feind. Und Gottes Freund!« in den Schlund gedrückt.
    Die Menge habe unrechtmäßig gejubelt.
    Der Vorfall könne als Zeichen von Aufruhr und Brechung des ewigen Landfriedens der langen Liste der Bosheiten von Nicolao Stortebeker anhängig gemacht werden.
    Ungesehen – der Gesetzesbrecher habe keine Ehre, verstoße willentlich gegen gute Sitten, sei von vorlauter Natur und einer, der der Hanse schweren Schaden bereite. Fortan gelte er als niederträchtige Kreatur.
    Bevor der zuständige Schultheiß den Büttel habe senden können, sei der Fliehende unter Umgehung des Wassertors nochmalig dem Zugriff über einen Geheimgang durch den nahen Deich bis zum offenen Meer hin entkommen.
    Hermann Kroners, der wachhabende Kommandant im Rathaus, habe noch nächtlich in einer Begehung die Länge des geheimen Tunnels mit zweihundertzwanzig Ellen festgestellt. Seine Tore von Land- wie Meeresseite seien auf städtische Anordnung unwiederbringlich mit frischem Torfmull verschüttet worden.
    Der Angeklagte werde heutigentags auf der gesuchten Kogge Likedeeler in tieferen Gewässern der Mecklenburger Bucht vermutet. Hermann Kroners übernehme die Aufgabe, mit zwei Kanonenkoggen am morgigen Kirchtag den gefährlichen Grobian zu stellen und ihn ohne Zögern dem Kellerverlies des Schlosses Gottesgabe zu Schwerin zu überbringen.
    Anno Domini 1380 im Wonnemond zu Wissemara

1
    Donnerstag, den 21. Mai
    Es war morgens kurz vor halb acht, als Lotte Nannsen in den Alten Hafen schlurfte, um ihren Kutter aufzusperren. Heute wollte sie ausnahmsweise etwas früher Klarschiff machen, weil zu Himmelfahrt das Geschäft mit Fischbrötchen brummte. Das lag zwar weniger am kirchlichen Feier-, als vielmehr am gleichzeitigen Herren- oder Vatertag, aber für eine Fischverkäuferin war das unerheblich. Der Unterschied zu sonst: Die Männer mit den Bollerwagen kamen früh, der Rest der Familien meist erst gegen Mittag.
    Später gab sie zu Protokoll, dass sie schon aus der Ferne verwundert gewesen sei, dass das obligatorische Willkommensgeschwader der Wismarer Seemöwen fehlte. Die treuen Vögel saßen sonst in
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