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Tony Mendez 02 - Eine verräterische Spur

Tony Mendez 02 - Eine verräterische Spur

Titel: Tony Mendez 02 - Eine verräterische Spur
Autoren: Tami Hoag
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über die Nebenwirkungen einer Kugel vom Kaliber .22. Da die allermeisten Menschen es nicht überlebten, wenn sie aus nächster Nähe getroffen wurden, gab es verständlicherweise nicht viele Berichte darüber. Die Ärzte hatten meistens nur eine Antwort parat, wenn Vince ihnen von seinen Symptomen berichtete: hm .
    Eine der angenehmeren Nebenwirkungen war eine sich hin und wieder einstellende plötzliche Sinnesschärfung. Dann erschienen ihm die Farben so satt, das Licht so grell, und er sah so scharf, dass seine Augäpfel zu schmerzen anfingen. Manchmal hallte das leiseste Geräusch mit einer solchen Lautstärke in seinem Kopf wider, dass er sich die Ohren zuhalten musste. Dann wieder wurde – wie jetzt – sein Geruchssinn dermaßen empfindlich, dass jedes einzelne Geruchsmolekül anzuschwellen schien und er es buchstäblich schmecken konnte.
    Es war nicht das Bild, das ihn überwältigt hatte. Es war der Geruch gewesen.
    Wie jedes tote Lebewesen war der Leichnam von Marissa Fordham in das trostlose Stadium der Verwesung eingetreten. Die Natur war gnadenlos und kannte keinen Anstand – und sie machte niemals eine Ausnahme. Der Tod war eine nüchterne, pragmatische Angelegenheit. Sobald das Herz zu schlagen aufhörte, fuhren alle Systeme herunter, und chemische Veränderungen setzten ein, die das höchststehende Wesen in der Nahrungskette in Nahrung für andere Lebewesen umwandelten.
    Das dauerte nicht lange. Besonders bei den im Moment herrschenden Temperaturen. Der Seele beraubt, werden die Augen glasig und flach, die Haut verliert an Farbe, die Körpertemperatur sinkt. Wie auf Befehl kommen die Schmeißfliegen und legen ihre Eier in Wunden und Körperöffnungen. Ein paar Stunden nach dem letzten Atemzug setzt die Leichenstarre in Kiefer und Nacken ein und breitet sich von dort nach und nach im Körper aus. Bakterien, die in den Eingeweiden wüten, bilden Gase, blähen die Leiche auf, und der Geruch wird stärker.
    Es war der Geruch, der ihn überwältigt hatte.
    Vince kramte ein Päckchen Pfefferminzkaugummi aus seiner Tasche, wickelte zwei Streifen aus und steckte sie in den Mund, um den Gallegeschmack loszuwerden.
    Er fühlte sich schwach und schwindlig. Für beides hatte er keine Zeit. Um den Kopf wieder freizubekommen, dachte er an die Frau, mit der er seit fünf Monaten verheiratet war und die sich heute Morgen in ihrem gemeinsamen Bett die Decke über den Kopf gezogen hatte, als er sich angezogen hatte, um zu dem Tatort zu fahren. Sogleich breitete sich ein Gefühl der Ruhe in ihm aus, und ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
    »Willst du mit dem Nachbarn reden?«
    Mendez war aus der Küchentür getreten und atmete tief ein und aus. Rund um das Haus standen Tontöpfe mit Geranien, Tagetes und Küchenkräutern. Auch Vince Leone sog noch einmal die frische Morgenluft ein.
    Mendez, Mitte dreißig, hochintelligent und ehrgeizig, war ein guter Kandidat für das FBI gewesen. Als Vince Leone vor einem Jahr nach Oak Knoll gekommen war, um das Büro des Sheriffs bei den Sekundenklebermorden zu unterstützen, gehörte das mit zu seinen Zielen – Mendez für das FBI zu rekrutieren. Der begabte junge Mann hätte es ohne weiteres in die Investigative Support Unit – eine Unterabteilung der Behavioral Sciences – geschafft, er hätte nur ein paar Fortbildungsseminare besuchen und praktische Erfahrung sammeln müssen. Während seiner Zeit an der National Academy hatte er genügend Interesse und Talent bewiesen. Aber der Fall hatte den jungen Detective nicht losgelassen – genau wie Vince Leone selbst. Mendez arbeitete nach wie vor daran und half der Staatsanwaltschaft dabei, eine lückenlose Beweisführung gegen den Mann aufzubauen, der mindestens drei Frauen aus der näheren Umgebung ermordet hatte – vermutlich sogar mehr, wie Leone meinte.
    »Ja, klar«, sagte Leone. »Wo ist er?«
    Sie gingen zur Vorderseite des Hauses, wo Bill Hicks auf einer Holzbank saß, die Arme auf die Oberschenkel gestützt, und mit dem Mann sprach, der das Verbrechen gemeldet hatte. Hicks, rote Haare, groß, schlaksig, war in seiner Freizeit Cowboy. Man übertrug ihm gerne solche Zeugenvernehmungen, weil er den Leuten mit seiner lockeren Art etwas von der Spannung nahm, die sich unweigerlich einstellte, sobald die Polizei anrückte.
    Hicks sah auf und lächelte. »Hallo, Vince. Freut mich, Sie zu sehen. Wie bekommt Ihnen das Eheleben?«
    Vince setzte sich auf einen alten Metallstuhl. »Phantastisch. Und wie geht es Ihnen,
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