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Tödliches Orakel

Tödliches Orakel

Titel: Tödliches Orakel
Autoren: Tina Sabalat
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brauchte ihn wach, ich brauchte ihn klar im Kopf. Ich brauchte ihn, damit ich nicht die nächsten fünfzig Jahre im Knast saß - wegen eines Mordes, den mir das Schicksal aufgetragen hatte, gefundenes Fressen für jeden Psychiater.
    »Sie sollten ein paar Tage wegfahren«, hatte ich zu Frau Berger gesagt. »Besuchen Sie doch Ihre Schwester mal wieder, Sie haben sich seit Monaten nicht gesehen.«
    Frau Berger hatte frisches Wasser in Kasimirs Napf gefüllt.
    »Morgen kommen um acht Uhr die Leute mit der Abdeckung für Ihren Pool«, hatte sie eingewandt, was stimmte. Und wegen meiner kleinen Menschen-Phobie auch keine leere Ausrede war.
    »Darum kümmere ich mich schon.«
    Eine längere Pause war diesen meinen Worten gefolgt und hatte sie bedeutsam gemacht.
    »Ist es so schlimm?«, hatte Frau Berger dann gefragt, ohne mich anzusehen, ich hatte genickt.
    »Ja.«
    »Meine Schwester ist im Urlaub. An der See. Wegen ihrer Bronchien.«
    »Dann schicken wir Sie auch in den Urlaub. Kasimirs Bronchien klingen, als könnte er eine Luftveränderung vertragen. Packen Sie Ihre Sonnencreme ein und einen schicken Bikini.«
    »Und wenn ich zurückkomme?«
    »Ist vielleicht alles wieder so, wie es war. Oder ganz anders.«
    Sie hatte mich angesehen, und ich hatte den Blick gesenkt, weil ich nicht hatte wissen wollen, wann wir uns wiedersehen würden. Oder ob wir uns wiedersehen würden.
    »Nun gut. Ich gehe. Aber ihn schicken Sie nicht fort. Er rettet Sie.«
    Ich hatte ihr ein Zugticket gebucht und ein Hotelzimmer. An der Nordsee, in einem hundefreundlichen Hotel, Meerblick, Halbpension. Ich hatte es getan wie ein Roboter, wusste schon jetzt nicht mehr, wie das Hotel hieß, wann der Zug ankommen würde: Mein Kopf war reines Chaos gewesen, erfüllt vom knirschenden Reißen des Gewebes, vom leuchtend roten Blut, das dem Mörder im Todeskampf aus Mund und Nase gelaufen war, das sich unter seinem gurgelnden Atem zu Bläschen aufgetürmt hatte, kurzlebiger als Seifenblasen. Mein Kopf war bis jetzt im Chaos geblieben, wo ich auf dieser Liege lag, auf der Sam mich gebettet hatte wie eine Kranke, kaum dass Frau Berger im Taxi gesessen hatte. Bevor er gegangen war, ohne mir den Blick zu gewähren, der die Frage nach dem Ende des heutigen Tages beantwortet hätte. Oder mir zu sagen, wie er sich fühlte nach dem, was in dieser Wohnung passiert war. Dem Kollaps des Mörders. Sein gequältes, dumpfes Schreien, das Zusammenkrümmen auf dem fadenscheinigen Teppich. Mein Gesicht, dass ich selbst als viel zu wissend dreinschauend erahnt hatte, das zu deutlich sagte, dass ich für das verantwortlich war, was da geschah. Für das Sterben, das wir mit ansehen mussten, zu lang, viel zu lang.
    Der Mond schimmerte auf der glatten Wasseroberfläche des Schwimmbeckens und ebenso auf dem schwarzen Stahl der Waffe, die neben mir auf dem Tisch lag. Es war nicht meine, es war die des Mörders, nun besaß ich also schon zwei. Ein scharfer Geruch ging von ihr aus, als haftete ihr noch der Schuss an, mit dem sie Tobias niedergestreckt hatte. Ich hatte einen Mörder ermordet, bevor dieser erneut zum Mörder hatte werden können. Was mich selbst zum Mörder machte, den man hätte erschießen müssen, wenn man vorher gewusst hätte, was ich tun würde. Worauf wiederum auch der, der mich getötet hätte, hätte getötet werden müssen, um den Mord an mir zu verhindern, den ich ja noch gar nicht begangen hatte. Ein Teufelskreis, der immer einen Schuldigen zurückließ.
    Ich wusste nicht, wohin Sam gegangen war, aber ich wusste, was er tat: Er brachte den Mörder dort hin, wo er schon Tobias hingebracht hatte. Ich wollte nicht wissen, wo das war, und ich hatte ihn auch nicht gefragt. Seit dem Tod des Mörders hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen. Weil es nicht mehr nötig gewesen war, so als wäre sein letzter, gequälter Atemzug, herausgegurgelt durch einen Mund voll Blut, der lang ersehnte letzte Punkt einer langen Rede gewesen. Sam hatte mich an der Hand gefasst und zum Fahrstuhl geführt, auf den Beifahrersitz gesetzt und zu meinem Haus zurück gefahren. Ich wusste, dass er verstand, was ich gesehen hatte. Und ich war ihm dankbar dafür, dass er nicht fragte, wen ich beschützt hatte, wen ich in der Zukunft des Mörders hatte sterben sehen: ihn oder mich. Es war egal, und ich würde es nicht verraten. Ich würde es vergessen, damit es niemals mehr wichtig sein konnte. Nein, Sam hatte nicht gefragt. Er hatte geschwiegen und er hatte akzeptiert, dass ich geglaubt
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