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Tödliches Orakel

Tödliches Orakel

Titel: Tödliches Orakel
Autoren: Tina Sabalat
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Schüssen zu entgehen.« Sam klappte sein Büchlein wieder zu. »Gut. Ich werde mich nicht erschießen lassen.«
    Ich runzelte die Stirn, denn das hatte endgültig geklungen: Vielen Dank für die Auskunft, dann ist ja alles geklärt. Das sah ich anders.
    »Meinen Sie, es genügt, wenn Sie sich vornehmen, am 10. August etwas besser auf sich aufzupassen?«
    »Tut es das nicht?«
    Ich verzog skeptisch den Mund. »Möglicherweise. Aber ich denke, dass das zu wenig ist.«
    »Ich nicht.«
    Sam klang sehr sicher, und ich hätte ihn damit gehen lassen können. Doch ich tat es nicht.
    »Was machen Sie beruflich? Ihr Restleben war zu kurz, als dass ich das hätte erkennen können. Ich habe Sie im Auto gesehen, am Computer, in einem Sitzungszimmer, beim Telefonieren. Sie machen nichts Gefährliches, oder? Keine Polizei, kein Militär?«
    Sam kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Warum?«
    »Weil da Schusswaffen an der Tagesordnung sind. Wenn Sie Polizist oder Ähnliches wären, ist die Bedrohung durch die Waffe etwas, das zu Ihrem Job gehört. Etwas, mit dem Sie rechnen müssten, mit dem umzugehen Sie vielleicht sogar gelernt haben. Wenn Sie dagegen Versicherungsmakler sind, wäre die Waffe ungewohnt und Ihre Reaktion dementsprechend unprofessionell.«
    Sam schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts mit Waffen zu tun. Weder beruflich noch sonst wie.«
    Ich erinnerte mich an Sams Todesmoment: ein dämmeriges Zimmer, eine schemenhafte Person, helle Lichtblitze. Sam hatte bisher nicht nach Details gefragt, und das wunderte mich. Ich würde es wissen wollen, dachte ich, und zwar alles. Wie lange dauert es. Habe ich Schmerzen. Kann ich noch etwas sagen. Was sage ich. Bin ich allein. Habe ich Angst.
    »Sie sind überrascht«, sagte ich, »und Sie haben nicht mit den Schüssen gerechnet. Sie betreten eine Wohnung. Es ist Abend. Dort sprechen Sie mit einem Mann, dann sterben Sie. Die Waffe verblüfft Sie, die Schüsse ebenso.«
    Sam lächelte. Erleichtert? Ich starrte in sein Gesicht. Ja, seine Züge waren entspannter, seine Augen klarer.
    »Das würde ich ja nun nicht mehr sein. Überrascht.«
    »Oh doch«, antwortete ich, und wischte damit Lächeln wie Erleichterung aus seinem Gesicht.
    »Warum?«
    »Nun«, setzte ich an, »Sie denken, dass Sie Ihr Schicksal schon dadurch geändert haben, dass Sie damit rechnen, erschossen zu werden. Sie glauben, Sie wären nun nicht mehr überrascht, wenn jemand eine Waffe auf Sie richten würde. Ich habe erst die Überraschung gesehen, dann Ihren Tod. Sie denken, wenn die Überraschung nicht mehr da ist, wird auch Ihr Tod wegfallen. Ist das in etwa korrekt?«
    »Ja.«
    »Sie sind sich also absolut sicher, dass Ihnen nichts passieren wird.«
    »Ja.«
    »Und wenn nun doch jemand mit einer Waffe in der Hand vor Ihnen auftaucht? Dann wären sie sehr verdutzt, weil es ja schon verhindert wurde, nicht wahr? Doch Überraschung. Eine andere vielleicht, aber dennoch. Sie werden nicht denken 'Mein Gott, eine Pistole!', sondern eher 'Das kann doch nicht sein!' Aber Sie wären überrascht.«
    Sam gab ein Knurren von sich.
    »Also können Sie immer noch genauso sterben, wie ich es gesehen habe«, fuhr ich fort. »Sie können nicht planen, nicht überrascht zu sein. Überraschung ist ein Gefühl, es kommt von allein. Sie müssen andere Dinge ändern, um sich zu retten. Entscheidende Dinge.«
    Sam dachte darüber nach, die Uhr stand bei neunzig Sekunden.
    »Okay, ich verstehe«, sagte er schließlich. »Wo werde ich erschossen? Draußen?«
    »Nein. In einem Raum.«
    »Was für ein Raum?«
    »Ein Zimmer in einer heruntergekommenen Wohnung. Es ist dämmerig darin, ich konnte nicht viel erkennen.«
    »Gut. Wie wäre es, wenn ich fremde, düstere Wohnungen meide? Mich in einen Park setze? In die Sonne?«
    »Kommt ein Auto vorbei und entführt Sie.«
    »Haben Sie gesehen, dass mich jemand entführt?«
    »Nein. Sie haben das Zimmer aus freien Stücken betreten. Dann fielen die Schüsse. Aber wenn Sie sich nur etwas anders verhalten, können Ihre Mörder ebenfalls umdisponieren. Das Zentrale ist Ihr Tod. Und Sie sind kein zufälliges Opfer.« Ich sah Unverständnis in seinem Blick. »Konzentrieren Sie sich nicht auf die Schüsse, auf den Raum oder die Tageszeit«, betonte ich nochmals, »sondern darauf, dass Sie umgebracht werden sollen. Die Methode ist nebensächlich, ebenso der Ort oder die Zeit. Man könnte Sie auch zwingen, dieses Zimmer zu betreten, wenn Sie nicht freiwillig kommen, diese Wohnung aber unbedingt der
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