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Toedliche Worte

Toedliche Worte

Titel: Toedliche Worte
Autoren: Val McDermid
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unter Druck setzte. Die Gerichte duldeten es nicht, dass Polizisten schutzlose Verdächtige drangsalierten.
    Er dachte an Carol Jordan und griff nach seinen Zigaretten. Sie hätte bestimmt einen außergewöhnlichen Ansatzpunkt gefunden, das bezweifelte er nicht. Ihre Gedanken verliefen in Bahnen, die er nie hatte begreifen können. Sein Gehirn war einfach anders strukturiert als ihres, und er wäre in einer Million Jahren niemals auf eine ihrer einfallsreichen Betrachtungsweisen gekommen. Aber etwas gab es, das Carol getan hätte und das auch er in die Wege leiten konnte.
    Merrick atmete tief durch und nahm den Hörer auf. »Ist der Chef da?«, fragte er die Frau, die abnahm. »Ich hätte gern mit ihm über Tony Hill gesprochen.«

    John Brandon stieg die Treppe der Barbican Station hinauf. Die schmutzigen gelben Backsteine sahen aus, als schwitzten sie, und sogar der Beton, auf dem er ging, schien heiß und klebrig. Die Luft war stickig und von diversen Ausdünstungen der Menschen erfüllt. Es war nicht gerade die beste Vorbereitung auf ein Gespräch, von dem er befürchtete, dass es schwierig sein würde.
    Wie sehr er auch versucht hatte, sich auf das Treffen mit Carol Jordan vorzubereiten, war er trotzdem sicher, dass er im Grunde keine Ahnung hatte, was er vorfinden würde. Sicher wusste er nur zwei Dinge: Er hatte keine Vorstellung davon, wie es ihr in Bezug auf das ging, was ihr geschehen war. Und er wusste, dass Arbeit ihre Rettung sein konnte.
    Als er von der missglückten verdeckten Aktion gehört hatte, die mit einem tätlichen Angriff auf Carol geendet hatte, war er entsetzt gewesen. Sein Informant hatte die Bedeutung des mit dieser Operation Erreichten hervorzuheben versucht, als wäre alles, was ihr angetan wurde, damit aufgewogen. Aber Brandon hatte seine Erklärung ungeduldig unterbrochen. Er wusste schließlich Bescheid über die Anforderungen, die Führungskräften abverlangt werden konnten. Er hatte sein Erwachsenenleben dem Polizeidienst gewidmet, hatte sein Karriereziel erreichen und dabei die meisten seiner Prinzipien beibehalten können. Eine seiner Regeln war, dass man einen Polizeibeamten niemals einem unnötigen Risiko aussetzen durfte. Natürlich war Gefahr ein Teil der Arbeit, besonders heutzutage, wo Schusswaffen für manche sozialen Gruppen genau so ein modisches Accessoire waren wie iPods für andere. Aber es gab akzeptable Risiken und solche, die man nicht eingehen durfte. Und aus Brandons Sicht hatte man Carol Jordan in eine Lage gebracht, in der sie einem unannehmbaren, unzumutbaren Risiko ausgesetzt gewesen war. Er glaubte einfach nicht an einen Zweck, der solche Mittel hätte heiligen können.
    Aber es brachte nichts, sich darüber aufzuregen, was geschehen war. Die Verantwortlichen waren selbst für einen Polizeipräsidenten zu gut geschützt, als dass er ihnen etwas hätte anhaben können. Das Einzige, was John Brandon jetzt für Carol tun konnte, war, ihr einen Rettungsanker zuzuwerfen, mit dem sie den Weg zurück in ihren geliebten Beruf finden konnte. Sie war wahrscheinlich die beste Kripobeamtin gewesen, die er jemals unter sich gehabt hatte, und sein Instinkt sagte ihm, dass sie unbedingt wieder eingesetzt werden sollte.
    Er hatte es mit seiner Frau Maggie besprochen und ihr seine Pläne erklärt. »Was meinst du?«, hatte er gefragt. »Du kennst ja Carol. Meinst du, sie würde das übernehmen wollen?«
    Maggie runzelte die Stirn und rührte nachdenklich in ihrem Kaffee. »Du solltest nicht mich fragen, sondern Tony Hill. Schließlich ist er der Psychologe.«
    Brandon schüttelte den Kopf. »Tony würde ich zuallerletzt fragen, wenn es um Carol geht. Außerdem ist er ein Mann, er versteht die Auswirkungen von Vergewaltigung nicht so wie eine Frau.«
    Maggies Mundwinkel zuckten leicht, sie stimmte ihm zu. »Die Carol Jordan von früher hätte sich darauf gestürzt. Aber es ist schwer, sich vorzustellen, wie sich die Vergewaltigung auf sie ausgewirkt hat. Manche Frauen macht es völlig kaputt. Bei manchen wird es zum bestimmenden Augenblick ihres Lebens. Andere verdrängen es und tun so, als sei nichts geschehen. Die Erinnerung bleibt im Hintergrund wie eine tickende Zeitbombe, die jeden Moment ihr Leben zerstören kann. Und manche finden eine Möglichkeit, damit fertig zu werden und sich einen neuen Weg zu suchen. Wenn ich raten sollte, würde ich sagen, Carol wird die Sache entweder verdrängen oder sich durchkämpfen. Wenn sie es verdrängt, wird sie vermutlich mit
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