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Toedliche Worte

Toedliche Worte

Titel: Toedliche Worte
Autoren: Val McDermid
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erschwinglichem Wohnraum an, die verfallenden Häuser aufzukaufen und zu renovieren, und schufen so einen schicken neuen Vorort. Allerdings ging dabei das Gemeinschaftsgefühl verloren. Die leidenschaftlichen Anhänger von Tapetenwechsel und Wohnen nach Wunsch interessierten sich nur für ihr eigenes Leben, nicht für das ihrer Nachbarn. Noch vor zehn Jahre hätte Tim Golding die meisten Leute, die in seiner Straße wohnten, gekannt und sie ihn. An einem solchen Sommerabend wären alle Leute im Freien gewesen, unterwegs zu ihren Schrebergärten oder auf dem Rückweg vom Pub, hätten vor den Türen gestanden und sich unterhalten, während sie die letzten Sonnenstrahlen genossen. Schon allein ihre Gegenwart hätte den Jungen geschützt. Und sie hätten einen Fremden bemerkt und sich erinnert, wann er vorbeigekommen war, und darauf geachtet, wohin er ging. Aber heutzutage waren alle Einwohner von Harriestown, die nicht gerade in ihren eleganten Designerküchen exotische Gerichte eines Fernsehkochs nachkochten, damit beschäftigt, in ihren durch hohe Mauern von den Nachbarn getrennten Gärten hinter dem Haus südländische Innenhöfe anzulegen oder griechische Tonkrüge für ihre frischen Kräuter aufzustellen. Merrick hatte missmutig auf die geschlossenen Türen und Fenster in der Straße geblickt und sich nach einfacheren Zeiten zurückgesehnt. Dann war er unruhig und erschöpft zum Einsatzzentrum zurückgekehrt.
    Seine Ermittlergruppe hatte die Nacht durchgearbeitet und die in ihrem Revier als pädophil bekannten Personen befragt. Kein einziger Hinweis hatte sich ergeben, der die Ermittlungen hätte voranbringen können. Zwei Personen hatten angerufen und berichtet, sie hätten ungefähr um die Zeit, als Tim verschwand, einen weißen Transporter gesehen, der langsam durch die schmalen Straßen fuhr. Durch Zufall hatte einer den größten Teil der Autonummer im Gedächtnis behalten, so dass es sich lohnte, sie mit der zentralen Datenbank der Polizei abzugleichen. Sie hatten in der näheren Umgebung ein halbes Dutzend in Frage kommende Fahrzeuge ausgemacht, was im Einsatzzentrum neue Energie aufkommen ließ.
    Aber diese Spur hatte sich innerhalb weniger Stunden in nichts aufgelöst. Der dritte Transporter auf der Liste gehörte einer Firma, die ihr Biogemüse direkt an Haushalte lieferte. Der Fahrer war so langsam gefahren, weil die Tour neu für ihn war und er die Straßen dieser Gegend nicht kannte. Das allein hätte nicht ausgereicht, ihn unverdächtig zu machen. Doch er hatte seine fünfzehnjährige Tochter dabei, die ihm half, um ihr Taschengeld aufzubessern.
    Also wieder von vorne anfangen. Merrick steckte die Hände in die Hosentaschen und starrte das Schwarze Brett im Einsatzzentrum an. Was da hing, war dürftig. Normalerweise kamen in diesem Stadium der Suche nach einem verschwundenen Kind eine Menge Informationen herein. Im Fall Guy Lefevre war es jedenfalls so gewesen, obwohl sich langfristig alles als vergeblich erwiesen hatte. Aber aus irgendeinem Grund blieb es diesmal bei einem kümmerlichen Tröpfeln. Natürlich gab es Leute, die nur ihre Zeit verschwendeten und zum Beispiel anriefen und sagten, sie hätten Tim im Eurostar-Zug mit einer asiatisch aussehenden Frau, in einem McDonald’s in Taunton mit einem grauhaarigen Mann oder in Inverness beim Einkaufen von Computerspielen gesehen. Merrick wusste, dass diese Behauptungen, Tim gesehen zu haben, nichts brachten. Wer immer Tim mitgenommen hatte, würde nicht auf offener Straße herumlaufen, wo jeder ihn sehen konnte.
    Merrick seufzte. Die Bilder in seinem Kopf zeigten keinen kleinen Jungen, der mit seinen Freunden spielte. Was er sah, wenn er die Augen schloss, war ein flaches Grab in einem Waldstück. Das Aufleuchten eines gelben Fußballhemds im hohen Gras am Ackerrand. Wirr übereinander liegende Gliedmaßen in einem Entwässerungsgraben. O Gott, wie hilflos er dieser Aufgabe gegenüberstand.
    Er zerbrach sich den Kopf über eine andere Ermittlungsstrategie und überlegte, ob und wie seine früheren Chefs die Lage angegangen wären. Popeye Cross wäre bestimmt überzeugt gewesen, dass der Entführer schon aktenkundig war. Er hätte die Kinderschänder entschlossen in die Mangel genommen, um von irgendjemandem ein Geständnis zu bekommen. Merrick war sicher, dass dies schon abgedeckt war, obwohl sein Team sich hüten würde, die Art von Druck auszuüben, für die Popeye bekannt gewesen war. Heutzutage ging man ein Risiko ein, wenn man jemanden zu sehr
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