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Toedliche Worte

Toedliche Worte

Titel: Toedliche Worte
Autoren: Val McDermid
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Einzugsgebiet der Polizei von Bradfield erstreckte sich über vierundvierzig Quadratmeilen, wo sie für den Schutz von etwa 900 000 Menschen verantwortlich war. Nach den neuesten offiziellen Schätzungen, die er gelesen hatte, war danach in ihrem Zuständigkeitsbereich mit etwa 3000 aktiven Pädophilen zu rechnen, von denen nicht einmal zehn Prozent als Sexualverbrecher geführt wurden. Das war eher noch weniger als die Spitze des Eisbergs. Aber es war alles, woran sie sich halten konnten. »Fangen wir mal mit einem Zwei-Meilen-Radius an«, sagte er. »Sie operieren ja gern in dem Bereich, in dem sie sich sicher fühlen, nicht wahr?« Aber schon als er dies sagte, war sich Merrick schmerzlich der Tatsache bewusst, dass heutzutage, wo es so viele Pendler gab, die lange Strecken zum Arbeitsplatz zurücklegten, und wo so viele Menschen durch ihre Arbeit weit herumkamen und das Einkaufen am Wohnort zunehmend der Vergangenheit angehörte, für die meisten Menschen der vertraute Wohnbereich viel ausgedehnter war als bei der Generation ihrer Eltern. »Irgendwo müssen wir ja anfangen«, fügte er hinzu, und es war ihm anzuhören, wie pessimistisch er war.
    Er legte auf, hob gegen die Helligkeit die Hand vor die Augen und starrte auf das unschuldige Bild des im Sonnenlicht leuchtenden Grases und der Bäume dort unten. Das Licht erleichterte die Suche, das stimmte schon. Aber irgendwie schien ihm das Wetter unangebracht, fast wie eine Beleidigung gegenüber dem Schmerz der Goldings. Seit seiner Beförderung war dies für Merrick der erste große Fall, aber jetzt schon fürchtete er, dass er zu keinem Ergebnis kommen werde, über das sich irgendjemand freuen konnte. Er selbst am wenigsten.

    Mit einem Aktenstapel auf einem Arm und der Aktentasche in der anderen Hand stieß Dr. Tony Hill die Tür zu seinem Büro in der Universität auf. Vor seinem Seminar hatte er noch Zeit, die Post zu holen und sich um die Dinge zu kümmern, die keinen Aufschub duldeten. Als die Sekretärin des Psychologischen Instituts die Bürotür zufallen hörte, kam sie aus ihrem Zimmer. »Dr. Hill«, sagte sie in einem Ton alberner Selbstzufriedenheit.
    »Morgen, Mrs. Stirrat«, murmelte Tony und stellte Akten und Tasche unsanft auf den Boden, während er die Post aus seinem Fach nahm. Wie passend der Name dieser Frau doch war, dachte er und fragte sich, ob sie ihren Mann deshalb geheiratet hatte.
    »Der Institutsdirektor ist unzufrieden mit Ihnen«, sagte sie und verschränkte die Arme vor ihrem üppigen Busen.
    »Aha? Warum das?«, fragte Tony.
    »Die Cocktailparty für SJP gestern Abend – Sie hätten da sein sollen.«
    Mit dem Rücken zu ihr verdrehte Tony die Augen. »Ich war in meine Arbeit vertieft und habe kaum bemerkt, wie die Zeit verging.«
    »Es geht ja um eine wichtige Quelle von Mitteln für unser Projekt zur Verhaltensforschung«, schalt ihn Mrs. Stirrat. »Die Gäste hätten Sie gerne kennengelernt.«
    Tony griff nach dem ungeordneten Stapel Postsendungen und stopfte ihn ins vordere Fach seiner Aktentasche. »Sicher haben sie sich auch ohne mich prächtig amüsiert«, sagte er, hob seinen Aktenstoß hoch und ging rückwärts auf die Tür zu.
    »Der Institutsdirektor erwartet, dass sich alle Mitglieder des Lehrkörpers für das Beschaffen von Geldmitteln einsetzen, Dr. Hill. Es ist doch nicht zu viel verlangt, dass Sie einmal zwei Stunden Ihrer Zeit dafür …«
    »Um die lüsterne Neugier der Manager eines Pharmakonzerns zu befriedigen?«, schnauzte Tony. »Ehrlich gesagt, Mrs. Stirrat, ich würde lieber meine Haare in Brand stecken und das Feuer mit einem Hammer löschen.« Mit dem Ellbogen gelang es ihm, den Türgriff herunterzudrücken und in den Korridor zu entkommen, ohne auf die beleidigte Miene zu warten, die, wie er genau wusste, jetzt auf ihrem Gesicht erschienen war.
    Vorübergehend konnte er sich im ruhigen Hafen seines neuen Büros sicher fühlen und warf sich auf den Stuhl vor seinem Computer. Was machte er hier überhaupt, verdammt noch mal? Er hatte seine Unzufriedenheit mit dem akademischen Betrieb lange genug verdrängt, um die Stelle als Dozent an der Uni von St. Andrews anzunehmen, aber seit seinem kurzen, traumatischen Ausflug in die praktische Arbeit in Deutschland hatte er nicht mehr zur Ruhe kommen können. Auch die immer klarer werdende Einsicht, dass er diese Position an der Universität hauptsächlich bekommen hatte, weil sich sein Name im Vorlesungsverzeichnis gut ausnahm, war nicht gerade hilfreich.
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