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Tödliche Gier

Tödliche Gier

Titel: Tödliche Gier
Autoren: Sue Grafton
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sich eine suchen würde, die bereit wäre, sich seinen perversen Wünschen zu unterwerfen. Ich war jedenfalls nicht dazu bereit, und ich wusste, dass ich ihm das auch restlos klar gemacht hatte.«
    Insgeheim lechzte ich nach einem Beispiel, doch ich hielt es für klüger, (ausnahmsweise) meine große Klappe zu halten. Manchmal ist es hinderlich zu wissen, was andere Leute in ihrem Privatleben treiben — oder sich zu treiben weigern. Wenn ich Gelegenheit hätte, den Doktor eines Tages kennen zu lernen, wollte ich nicht dadurch abgelenkt werden, dass ich ihn vor meinem geistigen Auge mit einer Bio-Karotte im Hintern herumhüpfen sah. »Haben Sie die Scheidung eingereicht oder er?«
    »Er. Ich wurde davon völlig überrumpelt. Ich hatte angenommen, dass er seine Bedürfnisse außerhalb unserer Ehe erfüllt bekäme und seine Familie intakt hielte. Ich hätte nie gedacht, dass er in diesem Alter noch eine Scheidung anstrengen würde. Doch ich hätte es wissen sollen. Dowan ist schwach. Nicht dass irgendjemand gern seine eigenen Fehler zugibt, aber Dow ist es schon immer zuwider gewesen, wenn auch nur der Anschein eines Versagens ruchbar wurde.«
    »Soll heißen?«
    »Tja«, sagte sie und senkte die Augen. Ich beobachtete, wie sie den Blick über den Fußboden wandern ließ. »Ich hege den Verdacht, dass seine Beziehung zu Crystal nicht die Seelengemeinschaft ist, die er anderen gerne Vorspielen möchte. Vor ein paar Monaten hat er erfahren, dass sie hinter seinem Rücken herumvögelt. Er würde lieber verschwinden als zugeben, dass er betrogen worden ist.«
    »Hatte er eine Ahnung, wer es war?«
    »Nein, aber er ging der Sache nach. Nach seinem Verschwinden hat mir Dana schließlich anvertraut, dass sie es die ganze Zeit gewusst hat. Der Typ ist Crystals persönlicher Trainer. Er heißt Clint Augustine.«
    In meinem Kopf klingelte ein leises Glöckchen. Ich war mir sicher, dass ich den Namen schon einmal gehört hatte, wahrscheinlich in dem Fitness-Studio, wo ich trainiere.
    »Sie glauben, er hat sich deswegen aus dem Staub gemacht?«
    »Ja. Wir hatten am 10. September eine Unterhaltung — ein langes Gespräch. Das war zwei Tage, bevor er verschwunden ist. Er war entsetzlich unglücklich.«
    »Hat er das gesagt?«
    Ihr Zögern war unübersehbar, und sie musste mit sich ringen. »Nicht ausdrücklich, aber man ist nicht vierzig Jahre lang verheiratet, ohne zu lernen, zwischen den Zeilen zu lesen.«
    »Was war der Anlass für diese Unterredung?«
    »Er kam hierher.«
    »Sie haben sich mit ihm getroffen«, stellte ich fest.
    »Ja, schon. Auf seine Bitte hin«, erwiderte sie mit leicht abwehrendem Ton. »Dow liebt dieses Haus, genau wie das Haus in Horton Ravine. Er hat sich stets für meine Entwürfe interessiert, auch bevor unsere Beziehung sich gewandelt hatte. In letzter Zeit ist er abends öfter vorbeigekommen, um etwas mit mir zu trinken. An diesem Abend war er ganz erschöpft. Sein Gesicht war grau vor Sorge, und als ich ihn fragte, was los sei, sagte er, dass ihn der Arbeitsdruck wahnsinnig mache. Und Crystal war ihm keine Hilfe. Sie ist extrem narzisstisch, wie Sie noch feststellen werden, wenn Sie sie kennen lernen, wovon ich ausgehe.«
    »Hat es Sie erstaunt, dass er sich Ihnen anvertraut hat — nach allem, was er Ihnen zugemutet hat?«
    »Wen hat er denn sonst schon? Außerdem hat er im Grunde gar nicht über sie gesprochen, aber ich habe die Anspannung in seinen Augen gesehen. Er war in wenigen Monaten um gut zehn Jahre gealtert.«
    »Sie behaupten, er hatte sowohl bei der Arbeit als auch zu Hause Probleme?«
    »Allerdings. Er hat sich zwar nicht klar geäußert, aber er hat nebenbei erwähnt, er müsse einfach mal raus. Das war das Erste, woran ich denken musste, als ich erfahren habe, dass er verschwunden ist.«
    »Könnte das nicht Wunschdenken gewesen sein?«
    »Schon möglich«, räumte sie ein. »Ich meine, er hat keine Flugtickets aus der Tasche gezogen, aber er kam mir verzweifelt vor.«
    »Können Sie sich erinnern, ob er einen speziellen Ort erwähnt hat?«
    Sie legte den Kopf schief. »Ich habe mir deswegen schon das Hirn zermartert, aber mir ist ehrlich nichts eingefallen. Es war eine beiläufige Bemerkung, und ich habe mir, bis das hier passiert ist, nicht viel dabei gedacht.«
    »Ich nehme an, Sie haben der Polizei davon berichtet.«
    Sie zögerte erneut. »Zuerst nicht. Ich hielt sein Verschwinden für freiwillig und dachte, er würde wieder nach Hause kommen, wenn es ihm passte. Ich wollte ihn
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