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Tödliche Gier

Tödliche Gier

Titel: Tödliche Gier
Autoren: Sue Grafton
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meine Meinung nicht. Ich vermute, dass er in Europa oder Südamerika ist und den richtigen Augenblick dafür abwartet, wieder nach Hause zu kommen. Crystal glaubt, er sei tot — das habe ich wenigstens gehört.«
    »So abwegig ist das nicht. Den Zeitungen zufolge hat es auf seinen Kreditkartenkonten keine Bewegungen gegeben. Weder er noch sein Wagen sind irgendwo gesehen worden.«
    »Tja, das stimmt nicht ganz. Es gab mehrere Meldungen. Angeblich wurde er an so weit entfernten Orten wie New Orleans und Seattle gesehen. Man hat ihn beobachtet, wie er am JFK-Flughafen in ein Flugzeug gestiegen ist, und dann wieder südlich von San Diego, auf dem Weg nach Mexiko.«
    »Elvis wird auch immer wieder gesehen. Das heißt aber nicht, dass er lebt und wohlauf ist.«
    »Stimmt. Andererseits hat aber jemand, auf den Dows Beschreibung passt, versucht, nach Kanada einzureisen, ist aber davongegangen, als ihn der Zollbeamte nach seinem Pass gefragt hat. Der fehlt übrigens.«
    »Wirklich. Das ist ja interessant. Das haben die Zeitungen nicht erwähnt. Ich nehme an, die Polizei hat das verfolgt?«
    »Man kann es nur hoffen«, meinte sie. Ihr Tonfall hatte etwas Hohles. Wenn sie nur mich überzeugen könnte, dann würden sich ihre Aussagen vielleicht als wahr entpuppen.
    »Sie sind sich sicher, dass er noch lebt?«
    »Ich kann mir nichts anderes denken. Der Mann hat keine Feinde, und ich kann mir nicht vorstellen, dass er das Opfer einer >Bluttat< geworden sein soll«, sagte sie und malte mit den Fingern die Anführungszeichen in die Luft. »Die Vorstellung ist absurd.«
    »Weshalb?«
    »Dow kann bestens auf sich selbst aufpassen, jedenfalls in physischer Hinsicht. Was er allerdings nicht beherrscht, ist, sich den Problemen in seinem Leben zu stellen. Er ist passiv. Anstatt zu kämpfen oder zu flüchten, legt er sich hin und stellt sich gewissermaßen tot. Er würde alles Mögliche anstellen, um sich nicht mit Konflikten abzugeben, vor allem solchen mit Frauen. Das geht bis zu seiner Mutter zurück, aber das ist eine ganz andere Geschichte.«
    »Hat er schon mal so etwas getan?«
    »Offen gestanden, ja. Das habe ich auch dem Kriminalbeamten zu erklären versucht. Vergebens, wie ich hinzufügen möchte. Dowan hat das schon zweimal gemacht. Das erste Mal waren Melanie und Blanche — lassen Sie mich nachdenken — schätzungsweise erst sechs und drei. Dowan blieb drei Wochen lang verschwunden. Er ist ohne ein Wort abgehauen und mehr oder weniger genauso wiedergekommen.«
    »Wo war er gewesen?«
    »Ich habe keine Ahnung. Beim zweiten Mal war es so ähnlich. Es war Jahre später, kurz bevor wir uns endgültig getrennt haben. Am einen Tag war er noch da und am Nächsten verschwunden. Ein paar Wochen später kam er ohne ein Wort der Erklärung oder der Entschuldigung zurück. Natürlich habe ich vermutet, dass sein jüngstes Verschwinden eine Wiederholung war.«
    »Was hat sein Verschwinden bei den früheren Gelegenheiten ausgelöst?«
    Sie machte eine vage Geste, während der Rauch von der Spitze ihrer Zigarette aufstieg. »Ich schätze, wir hatten Probleme. Die hatten wir meistens. Auf jeden Fall sagte Dow immer wieder, er bräuchte Zeit, um seinen Kopf klar zu kriegen — was auch immer das heißen sollte. Eines Tages kurz darauf kam er einfach nicht nach Hause. Er hatte all seine Termine abgesagt, gesellschaftliche Verpflichtungen eingeschlossen, und zwar ohne mir oder sonst jemandem ein Wort zu sagen. Das Erste, was mir auffiel, war, dass er nicht zum Abendessen kam. Beim zweiten Mal war es genauso, nur dass ich nicht mehr vor Sorge außer mir war.«
    »Also hat er sich beide Male ganz ähnlich verhalten wie dieses Mal?«
    »Genau. Beim ersten Mal habe ich Stunden gebraucht, bevor ich begriff, dass er weg war. Als Arzt wurde er natürlich oft aufgehalten. Gegen Mitternacht war ich wie rasend — fast hysterisch. Ich dachte, ich würde wahnsinnig.«
    »Sie haben die Polizei angerufen?«
    »Ich habe jeden angerufen, der mir eingefallen ist. Dann ist am nächsten Morgen eine Nachricht mit der Post gekommen. Er schrieb, er käme irgendwann wieder nach Hause, was er ja auch getan hat. Ich war natürlich wütend, aber er wirkte völlig ungerührt. Blöd wie ich bin, habe ich ihm verziehen, und wir haben weitergemacht wie zuvor. Die Ehe lief gut — aus meiner Sicht jedenfalls gut genug. Ich dachte, er sei glücklich — bis zu dieser Geschichte mit Crystal. Womöglich hat er schon jahrelang mit ihr herumgemacht.«
    »Warum sind Sie
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