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Töchter der Luft

Töchter der Luft

Titel: Töchter der Luft
Autoren: Bernard Glemser
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nicht irgendwo anders hingingen, um uns zu unterhalten, wie wär’s bei mir zu Hause? Gewiß, sagte ich, warum nicht; und trat hinaus mit ihm in die übelriechende Finsternis der West Fourth Street, als schritte ich geradewegs hinein ins Paradies. Ich wußte nicht sehr viel über Männer, abgesehen von diesen jämmerlichen wenigen Minuten mit Tom Ritchie in der hintersten Ecke des Gartens in Greenwich, dabei war ich schon einundzwanzigeinhalb Jahre alt; ich konnte also nicht nein sagen zu so einem wunderbaren Erlebnis wie Big Top Charlie mit seiner Fünfzig-Zentimeter-Taille — kein Mädchen hätte das gekonnt. Ich war fast in einem Koma, während wir die vier Treppen zu meinem Zimmer hinaufkletterten, und ich konnte die Tür nicht öffnen, weil der Schlüssel immer wieder meinen Händen entglitt, aber schließlich überwand ich alle Hindernisse, und wir saßen Seite an Seite auf meinem dreibeinigen Sofa, und ich wartete darauf, daß der Himmel krachend auf mich herniederfiele. Und dann hielt mir Big Top seine berühmte Rede über die Wirkung des Liebeslebens auf den männlichen Organismus. Junge! soviel steht fest, Big Top öffnete mir die Augen! Liebe war großartig für Frauen; sie blühten auf davon. Für einen Mann jedoch war sie schlimmer als Selbstmord. Sie war schlichtweg ein langer, langsamer, schleichender Tod. Sie raubte einem Mann alle lebensnotwendigen Säfte, von seinem Kalk, seinem Soda und seinem Phosphor gar nicht erst zu reden. Sie verwandelte seine Knochen in verdorrte Äste und seine Muskeln in kleine Fetzen, die im Winde flatterten. Sie untergrub den Willen, sie zersetzte die Hirnzellen, sie machte die Eingeweide eines Mannes zu Brei. Und er legte mir diese grauenvollen Tatsachen mit solcher Überzeugungskraft dar, daß ich mich allmählich selber haßte und mir vorkam wie die Hure von Babylon. Eine lüsterne, abscheuliche Kreatur. Man stelle es sich vor, Big Tops herrliche Muskeln in Fetzen zu verwandeln. Stelle sich vor, ihn seines Phosphors zu berauben!
    Das war meine Romanze im Village. Eena strich wochenlang um mich herum und wartete nur darauf, mich beim Rückprall aufzufangen.

    Als ich ausgetrunken hatte, sagte ich: »Tut mir leid, Kinder, wenn ich mein Flugzeug kriegen will, muß ich jetzt gehen.« Ich wandte mich an Big Top: »Hilf mir bitte, meine Koffer zum Taxi zu tragen.«
    Er schaute mich an mit seinen unschuldigen blauen Augen.
    »Ach, ich kann nicht. Ich hab’ doch dieses Ziehen im Rücken, verstehst du? Ich kann nichts heben.«
    Ich hätte es wissen sollen. Er hatte immer wahnsinnige Angst, er könne einen seiner köstlichen Muskeln verrenken.
    »Ich helfe dir, mein Herz.« Und schon klemmte sich Eena einen Koffer unter den Arm und ergriff die beiden anderen, als wären sie nur mit Helium gefüllt. Ich trug meine Hutschachtel und meine Handtasche. Big Top folgte uns pfeifend, und Angel trottete stöhnend hinter Big Top her, und irgendwie kam ich mir vor, als ginge ich zu meiner eigenen Beerdigung. Wir fanden ein Taxi in der Sixth Avenue, und als alles Gepäck verstaut war, packte Eena mich und küßte mich neben den Mund, und ich spürte die Nässe ihrer Tränen. Ich sagte nur: »Bis bald« zu Big Top, zu Angel konnte ich sowieso nichts mehr sagen — er rannte zurück zur MacDougal Street wie ein Kaninchen.
    Ich gab dem Fahrer die Adresse East Side, Flughafenstadtbüro, lehnte mich zurück und begann wieder zu atmen. Es war unglaublich: so ganz plötzlich, innerhalb einer Minute, Eena zu verlassen und Big Top und Angel und Village im allgemeinen. Mir war auf einmal so leicht und frei zumute, als wäre meine Stirnhöhle verstopft gewesen, als kriegte ich endlich wieder Luft.
    An einer Verkehrsampel drehte sich der Taxifahrer nach mir um und meinte: »Sie fliegen, Miß?«
    Was für eine komische Frage. Worauf wollte er wohl hinaus? Ich antwortete: »Ja, ich fliege.«
    »Von Kennedy oder von La Guardia?«
    »Kennedy.«
    »Hören Sie. Sie müßten mit dem Bus fahren vom Stadtbüro aus, wie? Außerdem müßten Sie sich ‘nen Gepäckträger nehmen für die Koffer. Nun, für ein paar Pennies mehr fahr’ ich Sie den ganzen Weg ‘raus, und Sie können bequem sitzen bleiben. Ist das ‘n Vorschlag?«
    »Was heißt das bei Ihnen, ein paar Pennies mehr?«
    »Nun, sagen wir mal, die ganze Fahrt für ‘nen Fünfer.«
    »Okay.«
    »Okay?« Es schien ihn zu verblüffen, daß ich auf seinen Vorschlag ohne Widerrede einging.
    »Gewiß.«
    »Es ist ein Vergnügen, einem vernünftigen
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