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Todesträume am Montparnasse

Titel: Todesträume am Montparnasse
Autoren: Alexandra Grote
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trug keine Ringe, und die Fingernägel zierte ein dezentes Rot. Franck, der genau gegenüber der Ärztin Platz genommen hatte, konnte kaum seine Blicke von der attraktiven Frau wenden.
    In knappen, präzisen Worten berichtete Dr. Clément, was geschehen war. Genau um neun Uhr fünfzehn erreichte sie der Anruf der Wärter auf der Krankenstation. Sie eilte sofort in den ersten Stock zur Zelle von Julien Lancerau. Der Gefängnisdirektor traf gleichzeitig mit ihr dort ein. Der Häftling hing am Fensterkreuz, und Hélène Clément gab den Wärtern Anweisung, ihn sofort abzuschneiden. Der Leichnam wurde auf den Zellenboden gelegt, und die Ärztin konnte nur noch den Tod feststellen.
    »Kannten Sie den Häftling, Doktor?«, wollte LaBréa wissen.
    »Nein, nicht persönlich. Aber ich kannte seine Akte. Ich werde über alle Neuzugänge informiert.«
    Der Direktor bemerkte den erstaunten Ausdruck auf LaBréas Gesicht und sagte erklärend: »Dr. Clément ist eine äußerst engagierte Mitarbeiterin, die sich nicht nur auf ihr ärztliches Fachgebiet beschränkt.
Sie möchte Bescheid wissen, wer alles bei uns einsitzt, sich mit den Akten vertraut machen.«
    Franck schaltete sich ein, und LaBréa hörte die leichte Unsicherheit in seiner Stimme.
    »Wie lange sind Sie denn schon hier in der Santé? Haben Sie seinerzeit die Nachfolge von Dr. Vasseur angetreten?«
    Hélène Clément warf ihm einen kurzen Blick zu.
    »Nein, ich kam später. Ich arbeite erst seit zwei Jahren hier.«
    Der Direktor zündete sich eine Zigarette an und reichte die Packung in die Runde. Niemand bediente sich. Er stieß den ersten Rauch in die Luft und legte seine Stirn in Falten.
    »Schöne Schweinerei, das Ganze. Man wird uns mangelnde Aufsichtspflicht vorwerfen. Aber ich kann doch nicht für jeden Häftling einen Beamten abstellen! Wer sich umbringen will, findet einen Weg. Wie lange dauert es, bis ein Mensch tot ist, wenn er sich erhängt, Doktor?«
    Hélène Clément antwortete rasch.
    »Nur wenige Minuten, Monsieur.«
    »Na bitte! Nur wenige Minuten. Lancerau hatte leichtes Spiel. Wie hätten wir das verhindern sollen?«
    »Erklären Sie das der Untersuchungskommission, die es bestimmt geben wird, nicht uns«, meinte LaBréa.
    »Ich habe schon dem Staatsanwalt gesagt, dass die Presse möglichst keinen Wind von der Sache bekommen
sollte.« Der Direktor wurde zunehmend nervöser. »Es wäre eine Katastrophe, wenn etwas durchsickerte. Ich sehe förmlich schon die Schlagzeile!«
    »Das wird sich kaum vermeiden lassen, Monsieur«, bemerkte LaBréa. »Bei solch einer Geschichte sickert immer irgendetwas durch. Weiß sein Anwalt eigentlich schon Bescheid?«
    »Nein, nein …«, druckste der Direktor kleinlaut. »Ich wollte erst abwarten, bis Sie hier vor Ort waren.«
    »Dann holen Sie das schleunigst nach«, sagte Franck und kratzte sich hinterm Ohr. »Ich gehe jede Wette darauf ein, dass der das Ding an die ganz große Glocke hängt.«
    LaBréas Handy klingelte.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er und schaltete das Gerät ein. »Ja? Jean-Marc … Was? Wo? Moment, ich notiere.« Er fingerte Notizbuch und Kugelschreiber aus der Brusttasche seiner Lederjacke. »Rue Chrétien de Troyes. Hausnummer? Elf … Eine Autowerkstatt? Aha, an der Gare de Lyon. Rufen Sie Dr. Foucart auf ihrem Handy an, sie war bis eben hier in der Santé und ist jetzt gerade unterwegs zur Place Mazas. Begeistert wird sie nicht gerade sein, wenn sie gleich den nächsten Klienten bekommt. Franck und ich fahren hier sofort los. Wo ist Claudine? Gut, umso besser.«

3. KAPITEL
    Franck hatte den Renault im Hof der Santé geparkt. Die Schneedecke war inzwischen auf etwa fünf Zentimeter angewachsen und LaBréa ahnte, dass in der Stadt ein mittleres Verkehrschaos herrschte.
    Auf dem Weg zum Wagen hatte LaBréa seinen Mitarbeiter über Jean-Marcs Anruf unterrichtet. Franck hatte nur mit den Schultern gezuckt, als wäre er völlig desinteressiert an der Tatsache, dass im Zwölften Arrondissement eine Leiche gefunden worden war. So kannte LaBréa ihn nicht, und er sprach ihn direkt darauf an.
    »Was ist eigentlich mit Ihnen los, Franck? Sie wirken irgendwie völlig abwesend. Brauchen Sie Urlaub?« LaBréa bemühte sich, seine Stimme nicht ärgerlich klingen zu lassen.
    Franck machte eine wegwerfende Handbewegung.
    »Nicht der Rede wert. Ich habe private Probleme, aber das wissen Sie doch sicher längst.«
    »Dann packen Sie Ihre Probleme an, und lösen Sie sie!«
    Franck verzog vielsagend sein
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