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Todesträume am Montparnasse

Titel: Todesträume am Montparnasse
Autoren: Alexandra Grote
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Jedenfalls finden ihre Aktionen durchaus die Zustimmung der Bevölkerung. Es gab positive Zeitungsberichte. Auch die Polizei
sieht keinen Grund, etwas dagegen zu unternehmen. Zumal die meisten Täter, auch dieser Julien Lancerau, diesbezüglich keine Anzeige erstatten wollen. Welcher Mann würde schon gern zugeben, dass er von einem Haufen entschlossener Frauen auf symbolische Art quasi kastriert worden ist?«
    »Ist es denn sicher, dass er der Täter war?«
    »Hundertprozentig. Die Studentin hat noch in derselben Nacht im Krankenhaus einen Scheidenabstrich machen lassen. Der Vergleich mit der DNS des Mannes war eindeutig. Im Übrigen hat sich die Sache mit seinem besprühten Schwanz in der Santé wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Der Mann wurde zum Gespött seiner Mithäftlinge.«
    »Vielleicht war das der Grund, warum er sich erhängt hat?«
    »Mag sein.«
    Richard fuhr jetzt auf dem Périphérique. Der Schneefall hielt unvermindert an. Dennoch gab es auf der dicht befahrenen Stadtautobahn keine Verkehrsbehinderungen.
    Sie schwiegen eine Weile. An der Porte de Gentilly verließ Richard den Périphérique und lenkte den Porsche stadteinwärts. Dann sagte er zu seinem Bruder: »Wann kommt denn Céline aus Barcelona zurück?«
    LaBréa drehte kurz seinen Kopf.
    »Nächsten Montag oder Dienstag. Am Wochenende will ich sie besuchen, und wir fliegen dann gemeinsam zurück. Ein paar Tage Urlaub kann ich dringend
gebrauchen. Hoffentlich ist da besseres Wetter als hier.«
    LaBréas Nachbarin Céline Charpentier, seit einigen Monaten seine Freundin, befand sich seit einer knappen Woche in Barcelona. Dort hatte ihr Pariser Galerist in einem renommierten Kunstforum eine Ausstellung ihrer Bilder organisiert. Ihren Zyklus Couleurs en Flammes hatte sie Anfang Januar fertiggestellt, fünfzehn großformatige Bilder in kühnen Farben. Vorgestern war die Ausstellung eröffnet worden. Es gab gute Kritiken in der Tagespresse, Berichte im Fernsehen und ein reges Käuferinteresse. Noch am Morgen hatte LaBréa mit Céline telefoniert und ihr mitgeteilt, dass er für Freitag einen Flug gebucht hatte.
    Richard zündete sich eine Zigarette an. »Jenny kann gern zu uns kommen, wenn du nach Barcelona fliegst. Fanny und ich fahren raus aufs Land. Kinder lieben doch das Landleben. Und im Haus haben wir seit Weihnachten einen Indoor-Pool. Fünfundzwanzig Grad Wassertemperatur. Da kann sie nach Herzenslust herumschwimmen.«
    »Danke für das Angebot, Richard, aber das wird nicht nötig sein. Jenny wohnt während meiner Abwesenheit bei ihrer Freundin Alissa. Das haben die beiden schon ausgemacht.« Er verschwieg, dass Jenny das Leben auf dem Land keineswegs liebte und im Winter auch nicht gern schwimmen ging. Zudem fand sie, Richards Freundin Fanny sei »eine doofe Pute«.

    Zehn Minuten später erreichten sie den Boulevard Arago. In der Rue de la Santé hielt Richard direkt vor dem Gefängnis. Die beiden Brüder verabschiedeten sich, und LaBréa stieg aus dem Wagen. Schneeflocken wirbelten ihm ins Gesicht. Rasch betrat er das Gebäude.
     
     
     
     

    Paris, im Januar 2004
    Liebe Mama, lieber Papa, heute Morgen ist in Paris der erste Schnee gefallen. Damit hat kein Mensch gerechnet! Hier fällt selten Schnee. Die Winter sind meist regnerisch und trüb, das Thermometer fällt kaum unter null Grad. Aber das hab ich Euch ja bereits in den letzten Jahren geschrieben.
    Und nun diese unerwartete weiße Pracht! Vor zwei Stunden ging ich durch den Jardin du Luxembourg. Obwohl die Schneedecke noch dünn ist, knirschte es unter meinen Füßen. Dieser vertraute Ton, wie früher in den strengen Wintern daheim. Wehmütig dachte ich an die Zeit zurück, als Papa mich auf dem Schlitten über die Dorfstraße zog, damals bei Großmutter auf dem Land. Und Alex warf mit Schneebällen. Das fand ich immer gemein, denn er warf sehr hart, und es tat weh, wenn er mich an der Schulter oder am Kopf traf.
    Die Kinder hier in Paris besitzen keine Schlitten. Sie sind von neun Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags in der Schule, und in ihrer Freizeit sitzen sie vor ihren Computern. Eine traurige Kindheit, wie ich finde. Für die meisten jedenfalls. Außerdem
gibt es hier viele Scheidungskinder. An den Wochenenden besuchen sie den jeweiligen Elternteil, mit dem sie nicht zusammenleben.
    Was machen Papas Rheumaanfälle? Vor Kurzem las ich, dass hier in Frankreich ein neues, sehr effektives Medikament getestet wurde. Wenn ich Euch das nächste Mal besuche, bringe ich es mit.
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